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Eine Minute der Menschheit.

Eine Minute der Menschheit.

Titel: Eine Minute der Menschheit.
Autoren: Stanislaw Lem
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unzugängliche Fälle löste, der muß sich schon selber an die Lektüre des Nachworts machen.
    Die neue Ausgabe hat auch eine neue Einleitung, die einen nachdenklich machen kann, denn sie wurde zweifellos von einem Intellektuellen geschrieben, der anonym bleiben wollte, aber, statt »One Human Minute« hochzuloben, sich darüber zuweilen recht kritisch und zugleich zweideutig äußert, so daß man nicht weiß, ob er vielleicht dieses in Zahlen gefaßte Produkt der Zusammenarbeit von Computern mit Computern unter menschlicher Verwaltung nicht als etwas ansieht, das der unseren Vorvätern verbotenen Frucht vom paradiesischen Baum der Erkenntnis gleichkommt.
    Er rät, das Buch nicht Seite für Seite zu lesen, weil dies im Kopfe des Lesers bloß Verwirrung hervorrufen könne — wie wenn man eine Enzyklopädie in alphabetischer Reihenfolge lesen würde. Mehr noch, er sagt, er wäre selber ein »geplagter« Leser der »Einen Minute« gewesen, und er meint, daß »alles immer gleichzeitig stattfand«, weil die ungreifbare Summe der Empfindungen der ganzen Menschheit für jeden Moment der Geschichte, für jede Minute und Sekunde eine im Grunde konstante Größe ist. Die Ursachen der Sorgen, der Freuden und des Unglücks sind sogar extrem verschieden, üben jedoch keinerlei Einfluß auf diese Summe der Empfindungen und Erlebnisse aus. Sie bildet eine Konstante, und wenn sie (vielleicht) im Laufe der Geschichte Schwankungen unterliegt, gibt es keine Möglichkeit, diese Schwankungen als Hausse fataler und Baisse erfreulicher Erlebnisse — oder auch umgekehrt - zu entdecken. Das Buch ist aber insofern lesenswert, als es den Hintergrund darstellt, der zu verstehen erlaubt, wovon uns eigentlich die technisch immer vollkommeneren und mit immer mehr Nichtigkeiten vollgestopften Massenmedien unterrichten. Unzweifelhaft ironisch, geradezu höhnisch ist das Bild des »vollkommenen Lesers« gemeint, der, dem Autor der Einleitung zufolge, nichts anderes tun würde, als das Buch stückchenweise zu studieren und zu versuchen, hinter den Zahlen wirkliche Menschenschicksale ausfindig zu machen. Ironisch ist selbstverständlich das Beispiel, mit dem der Verfasser uns diesen »vollkommenen Leser« vor Augen führt, indem er mit Zahlen operiert und damit sofort die ganze Methode, welcher der Band sein Entstehen verdankt, karikiert. Dieser »ideale Leser«, ausgestattet mit guten Vorsätzen, einem starken Willen, Phantasie und einer Menge freier Zeit, macht in seinem ganzen Leben — mit Ausnahme der kurzen Stunden des Schlafes — nichts anderes, als sich vom Morgen bis zum Abend vorzustellen, was in diesem Augenblick mit seinen Nächsten geschieht. Indem er jedem Lebenden 50 Jahre lang 18 Stunden täglich je 30 Sekunden widmet, könnte er sukzessive an etwa 36 Millionen Menschen denken, also an weniger als ein Zweihundertstel seiner Zeitgenossen. 199 von zoo Erdbewohnern würden seine Gedanken nicht einmal streifen, obwohl er-bis zum letzten Atemzug — nichts anderes tut, als an seine Mitmenschen zu denken, selbst dann, wenn er ißt, trinkt, sich zum Schlafen auszieht. Dieses Experiment zeigt uns überdeutlich, daß wir in Wirklichkeit über menschliche Schicksale fast nichts erfahren können, außer statistischen Daten, die sie zusammenfassen. Eine so skeptisch und agnostisch philosophierende Einleitung leisteten sich die Herausgeber wohl aus der Erkenntnis heraus, daß sie einen Bestseller aus der Taufe hoben, und Bestseller haben das an sich, daß sowohl Lob wie Tadel, Begeisterung wie Bannflüche gleicherweise ihre Auflage heben. Eine vielleicht zynische, aber wahre Behauptung.
    Natürlich tauchten auch Piratenausgaben und Nachahmungen der »One Human Minute« auf. Es wäre amüsant und am Platz, wenn die nächste Auflage der »Einen Minute« derartige Fakten in den Rubriken »Geistiger Raub«, »Informationsdiebstahl und -fälschung« berücksichtigen würde, weil das einst ziemlich harmlose Phänomen jetzt, mit seinem Gefolge an Nachahmungen, wahren Rudeln von Hyänen und Schakalen gleicht, die hinter dem Löwen herziehen. Gleichzeitig ist der Begriff Computer Crime aus dem Reich der Phantasie in die Wirklichkeit eingezogen. Man kann eine Bank wirklich durch Fernsteuerung berauben, mittels elektronischer Impulse, die aus Sicherheitsgründen verwendete Chiffren zu knacken und zu täuschen vermögen, so wie der Safeknacker einen Dietrich, eine Brechstange oder eine Carborundum-Säge verwendet. Die Banken verlieren angeblich auf diese
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