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Eine Minute der Menschheit.

Eine Minute der Menschheit.

Titel: Eine Minute der Menschheit.
Autoren: Stanislaw Lem
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für gerade diese Pfeife, obwohl er eine ganze Kollektion von Pfeifen besitzt, oder auch einfach von einem Nerventick und schließlieh davon, daß irgendein Mann diese Pfeife, die gar nicht ihm gehörte, gefunden und sich ohne viel Federlesens in die Tasche gesteckt hatte, wonach er ermordet wurde, und in diesem Fall würde die Untersuchung der Pfeife schnurstracks auf einen Holzweg führen.
    Aber fünf Milliarden Menschen stellen eine hinreichende Ballung an Kraft dar, um vom Gesetz der großen Zahlen regiert zu werden. Nichts einfacher, als eine Prognose über die Anzahl der Autounfälle unter konkreten klimatischen Bedingungen und bei einer bekannten Dichte des Straßenverkehrs zu erstellen. Wie jedoch die Zahl der Unfälle, zu denen es nicht gekommen ist, sagen wir, pro Minute, zu ermitteln, von denen jeder ein sogenannter »near miss« war, oder, wie es jemand prägnanter ausgedrückt hat, wie die Gefahren der Motorisierung berechnen, indem man von der Voraussetzung ausgeht, daß der dichte Straßenverkehr die Summe von Unfällen darstellt, denen man wie durch ein Wunder entronnen ist? Nun, es zeigt sich, daß auch dies machbar ist, obgleich nur Unfälle, die wirklich passiert sind, greifbare Spuren in Form von zertrümmerten Autos und manchmal auch Leichen hinterlassen. Zwischen den Arten der stattgefundenen Unfälle, der Zahl der Verletzten und Toten, der Häufigkeit, umgerechnet auf die Oberfläche der Straßen und auf die Zahl der Fahrzeuge einerseits und der Zahl der um ein Haar vermiedenen Unfälle andererseits gibt es erfaßbare mathematische Proportionen, deren man sich bedienen kann. Das ist übrigens relativ leicht. Einige Berechnungen waren bloß mühselig und kompliziert, aber sie verlangten von den Programmierern keinen besonderen Einfallsreichtum. Recht amüsant war die Idee, das ganze auf dem Erdball im Umlauf befindliche Geld als eine Art winziger roter Blutkörperchen darzustellen, die ununterbrochen zirkulieren, nur daß sie nicht von einem Blutgefäß zum anderen, sondern von Hand zu Hand kreisen, oder überhaupt nicht in die realen Transaktionen einströmen, weil sie von elektrischen Impulsen ersetzt werden, die den Stand der Bankkonten verändern. Natürlich konnte das Bankgeheimnis nicht angetastet werden, aber ein qualifiziertes Team von Mitarbeitern der »One Human Minute« konnte den globalen Umlauf pro Minute errechnen, und um das so gewonnene Bild attraktiver zu gestalten, wurde über der Statistik eine Karte der Erde angebracht, auf der die »Ströme des Valutenumlaufs« so eingezeichnet waren, wie man sonst auf einer Landkarte atmosphärische oder Luftströme einzeichnet. Überhaupt merkt man dieser Auflage beträchtliche Bemühungen zur Veranschaulichung von Daten an, die sich häufig gegen jede Anschaulichkeit sperren. Übrigens konnte, wenn man so sagen darf, die »One Human Minute« eigentlich nur dank der Zusammenarbeit der Computer des Verlags mit den Computern fast der ganzen Welt zustande kommen, und der Rohstoff, den sie einander zur Verarbeitung überwiesen, war die Menschheit. Früher nämlich, als es noch keine elektronischen Karteien von Autofahrern gab, die für Verstöße gegen die Verkehrsregeln bestraft wurden, hätte man die entsprechenden Daten -noch dazu mit so vollkommener Exaktheit nicht erhalten können. Die Zahl der Leute, die in einer Minute per Flugzeug reisen, kann am leichtesten nach der Statistik der Prozentzahl der ausgenutzten Bordplätze aller Fluglinien ermittelt werden — und das sind leicht zugängliche Daten. Die Anzahl der falschen ärztlichen Diagnosen pro Minute war schon eine härtere Nuß. Berufssolidarität, das ärztliche Geheimnis (oder das der Rechtsanwälte) stellten Hindernisse dar, die es zu überwinden galt. Darüber hinaus spielte hier der — auch an vielen anderen Stellen vorhandene — Faktor der »mutmaßlichen«, das heißt der »Dunkelziffer«, eine Rolle, der Fälle also, die stattgefunden haben, aber der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis gebracht wurden (wie schon im Zusammenhang mit den Vergewaltigungen von Frauen erwähnt). Diese Zahlen, die nur schätzungsweise angegeben wurden, sind jedoch nicht aus der Luft gegriffen und sind in jedem Bereich — der vor der Umwelt geheimgehaltene Alkoholismus, die Perversitäten, ärztliche Kunstfehler, Irrtümer im Ingenieurwesen - von verschiedener Größenordnung, je nach den Methoden der Berechnung ihres Durchschnitts. Wer aber erfahren will, wie man scheinbar vollkommen
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