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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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bestraft zu werden, wusste keinen anderen Ausweg. Sie ist 15 Jahre alt, eine Türkin, die wie Susanna Margaretha ihre Schwangerschaft bis zuletzt geheim halten konnte, ihr Kind auf der Toilette der Familienwohnung in die Welt setzte und, wie die Mutter nach der Geburt an die Toilettentür klopfte, sich nicht anders zu helfen wusste, als das Neugeborene aus dem ersten Stock der Wohnung in den Hinterhof zu werfen, wo das tote Kind am nächsten Tag gefunden wurde.
    Die junge Türkin lebt in einer gespaltenen Welt. Einerseits hat sie eine streng moslemische Erziehung genossen, andererseits ist sie von der westlichen Kultur ihrer Umgebung geprägt. Ihre voreheliche Beziehung zu einem zehn Jahre älteren Mann, der inzwischen spurlos verschwunden ist – also auch darin mit dem Schicksal der Susanna Margaretha Brandt zu vergleichen –, wäre für die strenggläubige türkische Familie eine nicht zu bewältigende Schande gewesen. Der Vater der 15-Jährigen bestätigte vor Gericht, dass eine solche »Blutschande« in seiner Heimat nur »mit Blut reingewaschen« werden könne.
    Wie lautete das Urteil? Das Landgericht verurteilte das Mädchen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit, die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. »Obwohl sich der Vorsitzende Richter Klaus Forster zuvor in ungewöhnlich abfälliger Weise zu dem Antrag des Jugendgerichtshelfers und der Verteidigung auf psychologische Betreuung des Mädchens geäußert hatte – Forster wörtlich: ›Wir können schließlich nicht jedem Türken eine Therapie bezahlen‹ –, nahm das Schöffengericht in sein Urteil doch noch eine entsprechende Weisung auf. … die Türkin (wird) zunächst einmal in einem von katholischen Nonnen geführten Internat zur Hauswirtschafterin ausgebildet. Der Vorsitzende Richter kommentierte diese Perspektive mit den Worten: ›Jetzt müssen also Klosterschwestern schon Musliminnen ausbilden.‹« [61] Man sieht, auch die heutigen Richter haben ihre Vorurteile und sind, was Frauen anbetrifft, nicht besonders einfühlsam. Männern geht es da besser. Ich erinnere nur an das kürzlich erfolgte Urteil und dessen Begründung gegen den Alt- und Neu-Nazi Deckert. Mehr Einfühlung, als ihm von seinen Richtern zuteil wurde, kann sich niemand wünschen. Obwohl die Anklage eindeutig war – Volksverhetzung in Tateinheit mit Aufstachelung zum Rassenhass, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Auschwitz sei eine Lüge –, wurde dem so Verurteilten bestätigt, dass er eine charakterstarke, verantwortungsbewusste Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen sei; seine politische Überzeugung, die ihm Herzenssache sei, verfechte er mit großem Engagement und erheblichem Aufwand an Zeit und Energie. Mit anderen Worten: Hier wird ein Mann verurteilt, aber ihm gleichzeitig bestätigt, dass das öffentliche Bekenntnis zu rassistischen Ansichten und politischen Aktionen und die damit einhergehende Volksverhetzung, die zu seiner Verurteilung führten, im Grunde Ausdruck einer charakterstarken, verantwortungsbewussten Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen sei. Deutlicher kann sich wohl kaum ein Richter für die ›moralische‹ Berechtigung des Antisemitismus – und damit auch für deren Folge: den Holocaust – aussprechen. Es ist kaum anzunehmen, dass sich diese deutschen Richter aus Mannheim von denen in Frankfurt 1772 zur Zeit der Vernehmung von Margaretha Brandt wesentlich unterscheiden: Einfühlung gibt es für Täter, niemals für die Opfer.
    Wer sich von seinem Opferdasein zu befreien versucht, wird verfolgt. Man denke an das Schicksal der Autorin Taslima Nasrin, die von islamischen Fundamentalisten mit dem Tode bedroht wird und fliehen musste. Aber auch in USA sieht es mit der Unabhängigkeit der Frau schlecht aus, wo Abtreibungsgegner Ärzte, die bereit sind, schwangeren Frauen in schwierigen Situationen zu helfen, mit dem Tod bedrohen.
    Gretchen gestern und heute – sicherlich wäre ein Prozess wie den gegen Margaretha Brandt zur Zeit in Frankfurt nicht mehr möglich, aber die Folgen der Mischung aus Frauenverachtung einerseits und Angst vor der allmächtigen Frau andererseits, von der das Leben eines Mannes abhängig ist, lassen sich nach wie vor weltweit beobachten. Wo immer es möglich ist, versuchen Männer bis heute, Frauen in Abhängigkeit zu halten und sie zu unterdrücken. In manchen Kulturen ist, wie wir wissen, die patriarchalische Einstellung zur Frau, ihre rechtlose Lage
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