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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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aktueller denn je.
    Goethe hat sich 1772 in den Prozess gegen Margaretha Brandt nicht eingemischt, von Empörung seinerseits ist nichts bekannt. Vielleicht hat er sich mit Hilfe der Figur des Gretchens, die trotz ihres tragischen Schicksals unantastbar in ihrer Unschuld und Güte bleibt – »das ewig Weibliche zieht uns hinan« –, von bedrückenden Gefühlen der Schuld befreien wollen. Aber wir sehen, die Zeiten haben sich nicht allzu sehr geändert, das Mittelalter und seine Vorurteile gibt es im Geist und in der Seele vieler Männer weiterhin auch bei uns.

II.
    Geschlechter
    Die Frau und die Macht in einer neuen Gesellschaft
    Kann es überhaupt eine »neue« Gesellschaft geben, ohne dass »Frau« mehr als bisher an Politik, Kultur, Öffentlichkeit und Berufsleben teilnimmt? Ich unterschätze gewiss nicht, was Frauen in den letzten Jahrzehnten an gesellschaftlicher Veränderung (und natürlich auch schon Jahrhunderte vorher) geleistet haben. Was sie getan haben, ist zweifellos von größerer Bedeutung, als manche es wahrhaben wollen. Aber es geht doch um Kontinuität. Wenn Frauen gesellschaftskritisch zu denken beginnen, wenn sie sich ihrer Geschichte bewusst werden, gegenwärtige und zukünftige Verhältnisse ändern wollen, beginnt für sie eine Arbeit an sich und an ihrer näheren und weiteren Umgebung, die ohne Ende, d.h. lebenslang währt.
    Vielen Frauen ist mittlerweile auch klargeworden, dass sie, wenn sie wirklich an eine »neue« Gesellschaft glauben, die nicht mehr von den jahrtausendealten patriarchalischen Werten und Verhaltensweisen geprägt ist, selber Verantwortung, ja Macht übernehmen und Einfluss ausüben müssen. Gerade davor aber haben Frauen nach wie vor Angst. Macht an sich wird von den meisten Frauen verteufelt. Sie kann, ihrer Meinung nach, nur zu neuer Unterdrückung führen. Ist das wirklich so? Ohne Macht wird man nichts ändern können in dieser Welt, es geht doch darum, was man mit Einfluss oder Macht erreichen will, welche Ziele man wie verfolgt. Wenn Frauen ihre Angst vor der Macht schlechthin nicht überwinden, liegt es auch an ihnen, wenn die männliche Macht- und Prachtentfaltung mit ihren kriegerischen Exzessen weiterhin die Verhältnisse in der Welt bestimmt. Ist für Frauen die Macht kein Thema, werden auch die Geschichtsbücher bleiben, was sie bis heute sind: mehr oder weniger frauenlos.
    Das Patriarchat, die Macht der Männer, gibt es seit Jahrtausenden. Dass ihm ein Matriarchat vorausging, ist wahrscheinlich, aber in welcher Form, konnte bisher nur ungenügend erforscht werden. Prähistorische Funde zeigen, dass Idole oft Frauen darstellen. Der Artemis-Kult in Ephesos (und an anderen Orten) mit den dort gefundenen Artemis-Statuen und Reliefs von Amazonen hat noch in den Zeiten von Paulus zu großen Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Bewohnern von Ephesos geführt. Aber trotz dieses Kultes, trotz der weiblichen Götterbilder herrschten auch damals die Männer. Seit Entstehung der Schrift, seit Beginn einer historischen Überlieferung also, waren Frauen dem Patriarchat unterworfen, wenn es auch im Laufe der Jahrhunderte Unterschiede in der Machtverteilung der Geschlechter, der Erbfolge etc. gegeben hat. Die Vorherrschaft des Mannes wurde auf seine größere körperliche Kraft zurückgeführt. Mag dem so sein oder nicht, jedenfalls ist in unserer technisch-industriellen Welt die Macht von körperlicher Kraft unabhängig geworden. Warum ist es Frauen bisher dennoch nicht gelungen, die Herrschaft der Männer zu durchbrechen und die Macht mit ihnen zu teilen?
    »Anstatt die Frauenfrage zu lösen, hat die männliche Gesellschaft ihr eigenes Prinzip so ausgedehnt, daß die Opfer die Frage gar nicht mehr zu fragen vermögen« [62] . Wer zu lange Opfer ist oder die Rolle des Opfers übernimmt, hört auf, sich vorzustellen, dass es etwas anderes als Machtlosigkeit für ihn oder sie geben kann. Es geht darum, sich zu weigern, Opfer zu sein, auch in der Selbstwahrnehmung. Hören wir also auf, Machtlosigkeit hinzunehmen und sie mit Schuldlosigkeit gleichzusetzen. Das Bedürfnis nach »Unschuld« und der Ruf nach dem »Schuldigen« fixiert Frauen an die Opferrolle, die unweigerlich infantilisiert, eine Rolle, die dann besonders peinlich ist, wenn sie von Frauen quasi »zelebriert« wird.
    Wofür die Frauenbewegung seit ihrer Existenz kämpft, ist bekanntlich unterschiedlich. Einigen konnten sich im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte die meisten der um ihre Freiheit ringenden
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