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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
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Kirchenausschuss: »Wenn Sie in meiner Küche eine Blaskapelle spielen ließen, könnten Sie sie im Wohnzimmer nicht hören.« Für Renovierungen im Inneren mussten die Amtsinhaber aufkommen, doch ihnen fehlte zunehmend das Geld dafür. »So manches Pfarrhaus ist seit zwanzig, dreißig, ja selbst fünfzig Jahren nicht mehr renoviert worden«, schrieb Alan Savidge 1964 in einer Geschichte der Pfarrhäuser.
    Die einfachste Lösung war es, die lästigen Kästen zu verkaufen und etwas Kleineres daneben zu bauen. Doch die mit diesen Transaktionen betrauten Beauftragten der anglikanischen Kirche erwiesen sich leider, leider nicht immer als die cleversten Geschäftsleute. Anthony Jennings beschreibt in Das alte Pfarrhaus (2009), dass sie 1983 etwas mehr als dreihundert Pfarrhäuser zu einem Durchschnittspreis von 64 000 Pfund verkauften und durchschnittlich 76 000 Pfund dafür ausgaben, viel schlechtere neue zu errichten.
    Von den 13 000 Pfarrhäusern, die es 1900 gab, sind heute gerade mal noch 900 im Besitz der anglikanischen Kirche. Unseres wurde 1978 an einen Privatmann verkauft. (Für wie viel, weiß ich nicht.) Seine Geschichte als Pfarrhaus währte 127 Jahre, während derer es das Heim von acht Amtsträgern war. Ulkigerweise wohnten alle sieben, die nach Mr. Marsham kamen, länger darin als die so sehr im Dunklen bleibende Gestalt, die es bauen ließ. Thomas Marsham trat 1861, nach nur zehn Jahren in dem Haus, eine neue, ebenso unbedeutende Stelle wie seine alte an, und zwar als rector in Saxlingham, einem Dorf dreißig Kilometer weiter im Norden, nicht weit vom Meer.
    Warum er sich ein solch stattliches Haus hat erbauen lassen, werden wir nie erfahren. Vielleicht wollte er eine entzückende junge Dame aus seiner Bekanntschaft beeindrucken, die ihn aber nicht nahm, sondern einen anderen ehelichte. Oder sie wollte ihn doch und starb, bevor er sie heimführen konnte. Beide Varianten waren im neunzehnten Jahrhundert mehr als normal, und beide würden einige der baulichen Mysterien des Hauses erklären, wie zum Beispiel das Kinderzimmer und das unbestimmt Weibliche am Pflaumenzimmer. Doch darüber können wir ewig spekulieren. Wir wissen nur, dass er, wenn er denn sein Glück im Leben fand, es nicht in der Ehe war.
    Wir können aber wenigstens hoffen, dass seine Beziehung mit seiner ergebenen Haushälterin Miss Worm einer gewissen Wärme und Zuneigung nicht entbehrte, wie verhuscht und verkrampft sie auch immer war. Für beide war es jedenfalls die längste Beziehung ihres Lebens. Als Miss Worm 1899 im Alter von sechsundsiebzig Jahren starb, war sie mehr als ein halbes Jahrhundert in seinen Diensten gewesen. Im selben Jahr wurde das Familienanwesen der Marshams in Stratton Strawless in fünfzehn Parzellen verkauft; vermutlich konnte es sich niemand als Ganzes leisten. Der Verkauf bedeutete das Ende von vierhundert Jahren hervorragender gesellschaftlicher Stellung der Marshams in der Grafschaft. Heute bleibt als Erinnerung nur noch der Pub »Marsham Arms« im Dorf Hevingham, nicht weit von Stratton Strawless.
    Mr. Marsham lebte noch knapp sechs Jahre danach. 1905 starb er in einem Altersheim in einem nicht weit entfernten Dorf. Er war dreiundachtzig Jahre alt, und außer der Zeit, in der er wegen seines Studiums fort gewesen war, hatte er sein ganzes Leben auf Norfolker Erde verbracht, innerhalb eines Radius von wenig mehr als dreißig Kilometern.
    IV.
    Hier auf dem Dachboden sind wir losgegangen — wie lange das jetzt her zu sein scheint! Ich war durch die Luke geklettert, um die Ursache für die undichte Stelle zu suchen (es war eine verrutschte Dachpfanne, dort kam der Regen durch), und entdeckte die Tür, die auf eine Stelle auf dem Dach führte, von der aus man den weiten Blick hat. Neulich habe ich mich zum ersten Mal, seit ich mit der Arbeit an diesem Buch begonnen habe, wieder dort hinaufgequält. Ich wollte wissen, ob ich die Welt ringsum jetzt, da ich ein wenig mehr über Mr. Marsham und das Leben damals wusste, anders sehen würde.
    Die Antwortet lautet: Nein. Und überrascht war ich auch nicht etwa, weil sich die Welt unten seit den Zeiten Mr. Marshams so gewaltig verändert, sondern, weil sie sich so wenig verändert hat! Ein wiederauferstandener Mr. Marsham wäre natürlich beeindruckt von ein paar Neuerungen — von den Autos, die über eine Straße rasen, dem Hubschrauber, der laut über mir knattert —, doch im Wesentlichen würde er auf eine Landschaft schauen, die scheinbar zeitlos und ihm unglaublich
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