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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
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gewesen, doch dem war nicht so. Alle hatten ein Anrecht darauf.
    Land einer Person höheren Standes zu betreten und ihr zu sagen, was sie mit dem eigenen Anwesen tun und lassen konnte, wurde als absurd empfunden — skandalös! Doch Lubbock blieb stur und drückte 1882 unter der neuen liberalen Regierung Gladstone das Denkmalschutzgesetz im Parlament durch — ein Meilenstein in der Geschichte der Gesetzgebung, wenn es denn je einen gegeben hat.
    Weil der Denkmalschutz so eine heikle Sache war, ernannte man zum ersten Inspektor der Denkmäler jemanden, den die Landbesitzer auch respektieren würden, idealerweise ebenfalls einen großen Landbesitzer. Und zufällig kannte Lubbock einen solchen Mann — der übrigens sein neuer Schwiegervater werden sollte und niemand anderes war als Augustus Henry Lane Fox Pitt Rivers.
    Dass sie durch Heirat miteinander verwandt wurden, muss die beiden Männer nicht minder überrascht haben als uns heute. Zum einen waren sie fast gleich alt. Der gerade erst verwitwete Lubbock lernte Pitt Rivers' Tochter Alice Anfang der 1880er Jahre bei einem Wochenendbesuch auf Castle Howard kennen, als er fast fünfzig und Alice gerade mal achtzehn war. Warum es zwischen den beiden funkte, entzieht sich leider unserer Kenntnis, doch kurz darauf heirateten sie. Sonderlich glücklich wurde die Ehe nicht. Alice war jünger als einige von Lubbocks Kindern, was für schwierige Beziehungen sorgte, und scheint sich auch nicht sehr für seine Arbeit interessiert zu haben. Aber ganz gewiss war das Leben mit Lubbock besser als mit einem jähzornigen prügelnden Vater.
    Ob Lubbock nicht wusste, wie brutal Pitt Rivers zu Alice gewesen war, oder ob er es schlicht zu übersehen geruhte? Beides war damals möglich. Jedenfalls kamen die beiden Männer gut miteinander klar, sicher, weil sie so viele gemeinsame Interessen hatten.
    Als oberster Denkmalschützer hatte Pitt Rivers keine großartige Macht. Seine Anweisungen lauteten, wichtige Monumente ausfindig zu machen, die vom Verfall bedroht waren, und dem Besitzer anzubieten, sie, falls gewünscht, in staatliche Obhut zu nehmen. Obwohl die Besitzer die Stätten dann nicht unterhalten mussten, scheuten die meisten davor zurück. Ein solcher Schritt hieß, die Kontrolle über einen Teil des eigenen Besitzes abzugeben — und selbst Lubbock zögerte, bevor er Silbury Hill aufgab. Dabei waren aus dem Gesetz schon wohlweislich Häuser, Burgen und Schlösser sowie kirchliche Gebäude ausgelassen worden. Es ging wirklich nur um ganz alte Denkmäler. Erschwerend kam hinzu, dass das zuständige Ministerium Pitt Rivers so gut wie kein Geld zur Verfügung stellte — die Hälfte des Jahresbudgets reichte gerade einmal dafür, einen niedrigen Zaun um eine einzige Begräbnisstätte zu ziehen. Ab 1890 zahlte es ihm dann überhaupt kein Gehalt mehr, sondern übernahm nur noch die Spesen und richtete zugleich die Bitte an ihn, nicht noch mehr »Reklame« für Denkmäler zu machen.
    Pitt Rivers starb 1900. In achtzehn Jahren schaffte er es mit knapper Not, dreiundvierzig Denkmäler zu listen (wie es so schön heißt), kaum mehr als zwei pro Jahr. (Heute beträgt die Anzahl der gelisteten Denkmäler mehr als 19000.) Doch er setzte in zweierlei Hinsicht ein Zeichen: Er machte klar, dass historische Gebäude und Stätten so kostbar sind, dass man sie bewahren sollte. Und er ließ keinen Zweifel daran, dass deren Besitzer die Pflicht hatten, sie zu pflegen. Das wurde zu Pitt Rivers' Zeiten selten streng befolgt, doch der Grundstein für den Denkmalschutz war damit gelegt. Weitere Maßnahmen folgten: 1877 wurde die Gesellschaft für Denkmalschutz unter der Leitung des Textildesigners William Morris gegründet, der NationalTrust folgte 1895.
    Gefahren lauerten dennoch überall. Stonehenge blieb in privater Hand, und der Besitzer, Sir Edmund Antrobus, weigerte sich, auf die Ratschläge der Regierung zu hören, ja überhaupt Inspektoren auf sein Land zu lassen. Um die Jahrhundertwende kursierte plötzlich die Nachricht, dass ein anonymer Käufer die Steine in die Vereinigten Staaten verschiffen und sie als Touris- tenattraktion irgendwo im Westen wieder aufstellen lassen wollte. Hätte Antrobus ein solches Angebot angenommen, hätte ihn von Gesetzes wegen nichts und niemand davon abhalten können. Nach Pitt Rivers' Tod blieb die Stelle des obersten Denkmalschützers der Nation zehn Jahre lang unbesetzt. Man wollte das Geld sparen.
    II.
    In dieser ganzen Zeit veränderte sich das Leben auf
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