Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
dem Lande drastisch. Großbritannien erlebte eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen der neueren Geschichte, die von der darbenden Landwirtschaft ausging. In den 1870er Jahren fuhren Bauern und Landbesitzer sieben Mal katastrophale Ernten ein, konnten aber die Ausfälle nicht, wie stets in der Vergangenheit, durch höhere Preise kompensieren, weil die Konkurrenz aus Übersee gewaltig war. Vor allem aus den Vereinigten Staaten, wo dank des McCormick-Reapers, der Mähmaschine, und weiterer großer klappernder Gerätschaften irrsinnig hohe Erträge erzielt wurden. Zwischen 1872 und 1902 stieg in den USA die Weizenproduktion um das Siebenfache, während sie in derselben Zeit in Großbritannien um knapp die Hälfte sank.
    Auch die Preise fielen kolossal, im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts grob gerechnet um die Hälfte. Das galt nicht nur für Weizen, Gerste und Hafer, sondern auch für Speck, Schweine-, Hammel- und Schaffleisch. Der Preis für Wolle fiel von 28 Shilling das Bündel von gut drei Kilo auf gerade mal 12. Abertausende Pächter schlitterten in den Ruin. Mehr als einhunderttausend Bauern und Landarbeiter verließen das Land. Die Felder lagen brach, Pachten wurden nicht gezahlt. Besserung war nicht in Sicht. Die Gemeinden schrumpften, die Kirchen leerten sich, die Gläubigen, die blieben, waren ärmer denn je. Auch die Zeiten für Landpfarrer wurden immer schlechter. Und gut sollten sie nie wieder werden.
    Auf dem Höhepunkt der Landwirtschaftskrise tat die liberale britische Regierung etwas Merkwürdiges. Sie erfand eine Steuer, die eine gesellschaftliche Schicht bestrafte, die ohnehin schon heftig litt und an den Problemen eigentlich völlig unschuldig war. Besitzer großer Ländereien und Anwesen sollten nun plötzlich Erbschaftssteuer zahlen.
    Ausgeheckt hatte die neue Steuer Schatzkanzler Sir William George Granville Venables Vernon Harcourt, ein Mann, den anscheinend niemand leiden mochte, solange er lebte. Wegen seiner Körperfülle »Jumbo« für seine Freunde (nicht unbedingt freundlich gemeint), war er eigentlich nicht der geborene Peiniger der landbesitzenden Klasse, denn er gehörte selbst dazu. Der Harcourt'sche Familiensitz war Nuneham Park in Oxfordshire, den wir in diesem Buch schon besucht haben. Es war das Anwesen, das ein früherer Harcourt ummodelte, dann vergaß, wo der alte Dorfbrunnen war, hineinplumpste und ertrank.
    Solange es Tories gegeben hatte, hatten sich die Harcourts zu ihnen gezählt. Folglich wurde auch Williams Eintritt in die Liberale Partei in der Familie als allerschwärzester Verrat angesehen. Doch selbst die Liberalen waren von seiner Steuer überrascht. Lord Rosebery, der Premierminister (selbst Großgrundbesitzer) überlegte, ob man nicht in Fällen, in denen zwei Erben in rascher Folge starben, weniger rigide sein sollte. Einen Landbesitz ein zweites Mal zu besteuern, bevor der Erbe die Möglichkeit gehabt hatte, die Finanzen der Familie wieder auf Vordermann zu bringen, war hart. Harcourt verweigerte sich aber allen Appellen an Zugeständnisse.
    Dass er selbst so gut wie keine Chance hatte, den Familiensitz zu erben, mag seine Auffassungen beeinflusst haben. Doch vermutlich zu seiner großen Überraschung ging er an ihn, als der Sohn seines älteren Bruders im Frühjahr 1904 plötzlich ohne Nachkommen starb. Dieses Glücks konnte er sich indes nicht lange erfreuen, weil er sechs Monate später selbst verschied, was bedeutete, dass seine Erben zu den Ersten gehörten, die nun zweimal besteuert wurden, wie es Rosebery befürchtet und er verworfen hatte. Nicht oft geht's im Leben so schön auf.
    Die Erbschaftssteuer betrug damals vergleichsweise bescheidene acht Prozent bei Besitzen, die eine Million Pfund und mehr wert waren, doch sie erwies sich als solch zuverlässige Steuereinnahme und war so beliebt bei denen, die sie nicht bezahlen mussten, dass sie immer wieder erhöht wurde. Am Ende des Ersten Weltkriegs war sie schließlich bei sechzig Prozent angekommen eine Höhe, die selbst den Reichsten die Tränen in die Augen trieb. In der Zeit wurde aber auch die Einkommensteuer immer wieder erhöht und andere neue Steuern erfunden — auf baulich nicht erschlossenes Land, die sogenannte Wertzuwachssteuer etwa, und eine sogenannte surtax oder super tax, also eine Supersteuer auf sehr hohe Einkommen. Überproportional viel in die Staatskasse entrichten mussten all diejenigen, die viel Land und einen vornehmen Akzent hatten. Für die oberen Klassen wurde das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher