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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich
Autoren: Julian Fellowes
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diese Leistung war. Mit neunzehn hatte ich nicht viel mehr vorzuweisen als einen Kuss beim Tanzen. Damian fuhr fort: »Ich hatte mit allen vieren bis Mitte der Siebzigerjahre Kontakt; von denen kann es keine gewesen sein. Dann haben du und ich viel unternommen, und ich war recht aktiv. Zwei Jahre später sind wir nach Portugal gefahren. Und danach war ich unfruchtbar. Schau dir doch den Stil des Briefs an, das Briefpapier, die ganze Ausdrucksweise. Diese Frau ist kultiviert …«
    »Und theatralisch. Und betrunken.«
    »Beides spricht nicht gegen einen vornehmen Hintergrund.«
    »Das stimmt allerdings.« Ich ließ mir seine Theorie durch den Kopf gehen. »Was ist mit den beiden Jahren zwischen dem Ende der Saison und dem Urlaub in Portugal?«
    Er schüttelte den Kopf. »Da waren nur ein paar Flittchen und zwei Mädchen aus unseren gemeinsamen Zeiten. Aber keine hat im fraglichen Zeitraum ein Kind bekommen.« Er seufzte müde. »Wie auch immer. Mit einer Lüge lebt nur, wer etwas zu verlieren hat. Etwas Wertvolles, woran er festhalten will. Was durch die Wahrheit gefährdet würde. Sie hat mir 1990 geschrieben, da waren die oberen Schichten die letzten, die an der ehelichen Geburt festhielten. Eine andere Frau hätte die Katze längst aus dem Sack gelassen.« Die Mühe des Sprechens, dazu das Herumschieben der Holzscheite hatten
ihn seine restliche Energie gekostet, und er ließ sich ächzend in den Sessel sinken.
    Ich hatte kein Mitleid mit ihm. Ganz im Gegenteil. Plötzlich stieß mir die Unzumutbarkeit seines Ansinnens heftig auf. »Ich habe keinen Anteil mehr an deinem Leben. Ich habe nichts mit dir zu schaffen. Wir sind zwei völlig unterschiedliche Menschen.« Ich wollte ihn nicht beleidigen, sah aber nicht ein, was mich sein Anliegen anging. »Wir haben uns einmal ganz gut gekannt, aber das ist längst vorbei. Wir haben vor vierzig Jahren zusammen ein paar Bälle besucht. Und dann kam der große Knall. Es muss andere geben, die dir viel näherstehen. Ich kann nicht der Einzige sein, dem du das aufhalsen kannst!«
    »Doch, das bist du. Diese Frauen stammen aus deinen Kreisen, nicht aus meinen. Ich habe keine anderen Freunde, die sie kennen würden oder überhaupt von ihnen gehört hätten. Und wenn wir schon dabei sind: Ich habe keine anderen Freunde.«
    Für meinen Geschmack machte er es sich zu leicht. »Dann hast du eben überhaupt keine Freunde, denn mich kannst du nicht dazuzählen«, platzte ich heraus. Was ich natürlich sofort bedauerte. Ich glaubte ihm, dass er bald sterben würde, und es hatte keinen Sinn, ihn für Dinge zu bestrafen, die niemals rückgängig zu machen waren. Aber er lächelte. »Ganz recht. Ich habe keine Freunde. Wie du besser weißt als die meisten anderen, ist Freundschaft etwas, was ich nie begriffen oder zustande gebracht habe. Wenn du ablehnst, kann ich niemanden sonst darum bitten. Ich kann nicht einmal einen Detektiv einschalten. An die Informationen, die ich brauche, kommt nur ein Insider heran.« Fast hätte ich gefragt, warum er sich nicht selbst auf die Suche gemacht hatte, aber das verbot sich beim Anblick seiner klapprigen Gestalt von selbst. Nach einer kurzen Pause fragte er: »Machst du’s?«
    Ich war mir nun sicher, dass ich nichts damit zu tun haben wollte. Nicht nur, weil eine solche Suche heikel, zeitaufwendig und peinlich wäre. Sondern auch, weil ich in meiner eigenen Vergangenheit genauso wenig herumstochern wollte wie in der seinen. Die Epoche, um die es ging, war vorbei. Für uns beide. Ich hatte kaum noch Kontakt
zum damaligen Kreis, aus Gründen, die Damian zu verantworten hatte, wie er genau wusste. Und was konnte schon Gutes dabei herauskommen, wenn ich alles wieder aufwühlte? Als letzten Versuch appellierte ich an sein besseres Selbst; sogar jemand wie Damian Baxter musste so etwas besitzen. »Damian, denk doch mal nach. Willst du wirklich ein Leben auf den Kopf stellen? Dieser Mensch weiß, wer er ist, und hat sich damit eingerichtet. Wird es ihm guttun, wenn er mit einer neuen, unbekannten Identität konfrontiert wird? Wenn er seine Eltern anzweifeln muss, wenn es womöglich zum Bruch mit ihnen kommt? Willst du dein Gewissen damit belasten?«
    Er sah mich ohne mit der Wimper zu zucken an. »Mein Vermögen beläuft sich, nach Erbschaftssteuer, auf weit über fünfhundert Millionen Pfund. Ich habe die Absicht, mein Kind als Alleinerben einzusetzen. Willst du die Verantwortung auf dich laden, ihm dieses Erbe vorzuenthalten? Willst du dein Gewissen damit
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