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Eine Katze hinter den Kulissen

Titel: Eine Katze hinter den Kulissen
Autoren: Lydia Adamson
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Mann war tot. Das Loch stammte von einer Kugel.
    »Das ist Dobrynin, Alice«, sagte Lucia. »Dobrynin!«
    Hatte Lucia sie noch alle?
    »Meinst du etwa Peter Dobrynin?«
    »Ja! Ja! Ja!« flüsterte sie
völlig außer sich. »Es ist Peter!« Ihre Finger
krallten sich so fest in meinen Arm, daß ich vor Schmerz
aufschrie. Einer der Polizisten drehte sich um und schaute mich an.
    Peter Dobrynin? Ich blickte noch einmal auf den toten Mann ohne Schuhe. Wie war das möglich?
    Peter Dobrynin war vor drei Jahren aus dem
öffentlichen Leben verschwunden. Der gefeiertste Ballettänzer
seit Nijinsky hatte sich zurückgezogen. Es gab alle möglichen
Gerüchte und Spekulationen: Er machte einen Drogenentzug in einer
Klinik. Er war in ein Kloster in Vermont eingetreten. Er war in einer
Irrenanstalt gelandet. Niemand wußte, was wirklich aus ihm
geworden war.
    Aber was für einen Eindruck hatte dieser Mann,
der im Kirow-Ballett ausgebildet worden war, in der Welt des Tanzes
gemacht, bevor er verschwunden war! Er war größer,
beeindruckender und dramatischer gewesen als Baryshnikow, technisch
perfekter und musikalischer als Nurejew. Seine Partien in Giselle und Feuervogel hatten ihn zum neuen Star des amerikanischen Balletts gemacht.
    Und auch in seinem Privatleben war Dobrynin ebenso
spektakulär gewesen wie auf der Bühne: als Liebhaber,
Raufbold, Ausgeflippter, Junkie, Trinker, auf den Partys des Jet-set
und in den angesagten Clubs in Harlem. Er war ständig völlig
durchgedreht.
    Lucia wollte mich wegziehen, aber ich widerstrebte. Ich konnte meine Augen einfach nicht von der Leiche wenden.
    War dieses Wrack von einem Mann wirklich einmal der gefeierte Tänzer Dobrynin gewesen?
    Eine Bö wehte über die offene
Betonfläche, und mich schauderte. Schließlich war immer noch
Weihnachten in New York.
    2
    Lucia verbrachte die Nacht auf meinem Sofa. Aber auch
nach zwei Tassen heißen Tees mit Zitrone und Brandy konnte sie
nicht schlafen.
    Ich hörte sie herumlaufen und weinen, und gegen
zwei Uhr morgens nahm ich mein Bettzeug und ging ins Wohnzimmer, um in
ihrer Nähe zu sein. Es war ziemlich hart auf dem Boden, und mein
Maine-Coon-Kater Bushy war nicht gewillt, sich von dem Kopfkissen auf
meinem Bett zu erheben und mir bei meiner Wache Gesellschaft zu leisten.
    Pancho, mein anderer Kater, der niemals mehr als
vierzig Sekunden in einem zu schlafen scheint und ständig auf der
Flucht vor imaginären Feinden ist, blieb mehrmals kurz stehen, um
mich zu beschnüffeln. Dafür war ich dankbar.
    Gegen vier Uhr fiel Lucia endlich in einen tiefen Schlaf.
    Um neun Uhr morgens schlief sie immer noch fest. Ich
ging hinunter, um die Zeitung und Croissants zu kaufen. Es war
schließlich Weihnachten.
    So früh am Morgen war die Straße
menschenleer - über allen Wipfeln ist Ruh, würde der Dichter
sagen. Gott sei Dank war die französische Bäckerei
geöffnet. Mit dem Wechselgeld zog ich eine Ausgabe der Daily News aus einer dieser blöden Automatenkisten und büßte dabei nur zehn Cent ein.
    Als ich gerade Kaffee machte, hörte ich, daß Lucia sich rührte.
    »Ich habe mich letzte Nacht angestellt wie ein
kleines Kind. Es tut mir leid, Alice. Aber das war alles zuviel
für mich. Und jetzt verderbe ich dir die Feiertage.«
    Sie stand vor meiner winzigen Küche. Es war
sonderbar, wie ihr kleiner, fester Ballerinenkörper gealtert war.
Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen war immer noch mager und die
Konturen fest. Lucia trug ihr halblanges, sandfarbenes Haar zu einem
Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sah aus, als ob sie gleich an der
Ballettstange trainieren würde.
    »Ich freue mich, daß du hier bist, von
den Umständen einmal abgesehen«, sagte ich. Früher
hatten wir uns häufig gegenseitig besucht. »Und
außerdem weißt du doch, daß ich mir noch nie viel aus
Weihnachten gemacht habe.«
    Sie nickte ruhig und half mir, den Kaffee und die
Croissants ins Wohnzimmer zu tragen. Bushy war endlich aufgewacht und
hatte seinen großen Morgenauftritt gehabt. Jetzt beschnupperte er
Lucia gründlich und dachte wahrscheinlich darüber nach, wie
lange er wohl brauchen würde, um sie zu seiner Sklavin zu machen.
    Wir lasen den Artikel in der Daily News gemeinsam,
als wir ihn endlich gefunden hatten. Auf den ersten beiden Seiten der
Weihnachtsausgabe waren nur Frieden-auf-Erden-Geschichten,
Weihnachtsmänner und glückliche Familien. Bethlehem, bewacht
von schwer bewaffneten israelischen Soldaten; Archivfotos von der
Mitternachtsmesse in der St.
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