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Eine Hexe mit Geschmack

Eine Hexe mit Geschmack

Titel: Eine Hexe mit Geschmack
Autoren: A. Lee Martinez
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zögerte ich
zu tun, was mir aufgetragen wurde. Ich hatte den größten Teil meines Lebens in
der Dunkelheit verbracht. Vorher hatte ich schon oft im See gebadet, aber immer
bei Nacht. Nicht, dass die Sonne eine ernsthafte Gefahr dargestellt hätte. Ich
war nur nicht daran gewöhnt. Sie war so hell, und ich würde so entblößt sein.
    Molch seufzte. »Nun mach schon!«
    Ich zog meinen Hut fester auf den
Kopf und schlüpfte aus meinem Kleid.
    Molch seufzte wieder. »Schwarze
Götter, Mädchen, du bist schön.« Das war nicht als Kompliment gemeint.
    Ich tauchte schnell bis zur Brust
ein und versteckte mich im kalten Wasser vor der warmen Sonne. »Das ist nicht
meine Schuld.«
    »Hast du mal versucht,
Schweineschmalz zu essen?«
    Ich nickte.
    »Und es hat nichts genützt?«
»Nichts nützt irgendetwas.«
    In sicherem Abstand vom Ufer
schritt er hin und her. Er hatte nichts gegen Wasser, aber nur in flachen
Zubern und Pfützen. 
    »Selbstverstümmelung. Ein oder
zwei böse Narben könnten nicht schaden.«
    »Ich bilde keine Narben«,
antwortete ich traurig. »Ich dachte mal daran, mir ein Gliedmaß abzusägen, aber
die Herrin sagte, es würde einfach nachwachsen. Sie sagt, ich werde so
aussehen, solange ich lebe.«
    »Pech.«
    Mit einem Enten-Schulterzucken hob
Molch seine Flügel. Diesen speziellen Punkt konnte er nachvollziehen. Genauso
wie ich zu hübsch war, um eine Hexe zu sein, war er zu weiß und weich, um eine
gefürchtete Kreatur zu sein.
    Mein Bad dauerte nicht lange. Ich
stieg gerade heraus, als Molch den Kopf hob und ringsum in den Wald spähte.
»Ich glaube, da draußen ist jemand.«
    »Da draußen ist niemand«,
antwortete ich, während ich in mein Kleid schlüpfte, um mich zu bedecken. Es
verbarg nicht viel. Der Stoff klebte an meiner feuchten Haut.
    »Ich glaube schon«, sagte er.
    Ich ließ meinen Blick ebenfalls
schweifen. Bei Nacht konnte ich alles sehen. Aber während des Tages litten
meine Augen. Ich sah zwar nichts und niemanden, doch ich spürte etwas. Ich
fragte mich, ob es vielleicht die Magie war, die schließlich doch noch zu mir
sprach. Die Grausige Edna sagte, dass sie zu jedem spreche, dass aber die meisten
nicht bereit seien zuzuhören.
    »Ich denke, wir sollten
zurückgehen«, sagte ich.
    Ich hielt mich im Zaum, damit ich
nicht zur Hütte zurückrannte. Vor dem Licht und den Geisteraugen wollte ich an
meinen Zufluchtsort fliehen. Aber ich würde der Furcht nicht nachgeben. Je
weiter wir uns vom See entfernten, desto besser fühlte ich mich. Mein Gefühl
der Vorahnung verebbte zwar, wurde aber wieder stärker, als die Hütte in Sicht
kam.
    »Das war eine komplette Zeitverschwendung.«
Molch blieb stehen und starrte mich an. »Weinst du, Mädchen?«
    Ich wischte eine Träne fort. Ich
wollte nicht zurückgehen. Ich redete mir selbst ein, wenn ich nicht ginge und
einfach bliebe, wo ich war, würde die Grausige Edna nicht sterben müssen. Ich
wusste zwar, es traf nicht zu, aber es war das Einzige, was ich tun konnte.
»Warum weinst du?«
    Ich schluckte die Tränen hinunter.
Hexen sollten nicht weinen.
    »Was ist los?«, wollte Molch
wissen.
    »Sie ist tot.«
    »Was?«
    »Ich hätte bleiben sollen.« »Wovon
sprichst du?« »Sie ist tot.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Weil sie mir gesagt hat, dass es
so sein würde.«
    Beunruhigt spreizte Molch die
Flügel. »Sie hat es dir gesagt! Mir hat sie es nicht gesagt! Warum hat sie es
mir nicht gesagt?« Er stürmte mit einem schnellen, flatternden Hüpfen auf die
Hütte zu. »Warum hat sie es mir nicht gesagt?«
    Ich rannte ihm nach, überholte
ihn, der mit seinen kurzen Schritten langsamer war, und erreichte die Hütte vor
ihm. Ich stieß die Tür auf und trat ein.
    Die Grausige Edna lag auf dem
Boden, eine Schwertklinge tief in ihren Rücken. Ein zotteliger Mann, haarig und
schmutzig, wühlte im Schrank herum. Er drehte sich um und ließ ein narbiges
Gesicht sehen.
    »Was haben wir denn da?«
    Lüstern stierte er mich an. Ich
war vorher noch nie lüstern angestiert worden, und ich mochte es nicht.
    Er rieb sich die schmierigen
Hände. »Na so was, was haben wir denn hier für ein gesundes, junges Mädchen?«
    Ein zweiter brutaler Kerl tauchte
aus meinem Zimmer auf. »Hey, schau mal, was ich gefunden habe. Ich glaube, hier
wohnt noch jemand.«
    »Das würde ich auch sagen.«
    Der Rohling sah mich an und
wischte sich den Mund. Die beiden Mörder kamen auf mich zu, zweifellos in der
Absicht, mir Gewalt anzutun. Molch spazierte zwischen meinen Beinen
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