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Eine Hexe mit Geschmack

Eine Hexe mit Geschmack

Titel: Eine Hexe mit Geschmack
Autoren: A. Lee Martinez
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hindurch
herein. Er warf einen kurzen Blick auf die Grausige Edna und wandte sich den
Mördern zu. Seine Augen funkelten auf eine Art, wie ich sie nie zuvor gesehen
hatte.
    »Was willst'n machen, Mädchen?
Deinen Vogel auf uns hetzen?«
    Molch brüllte ein monströses
Quaken heraus, tief und bestialisch. Es war zwar nicht sehr Furcht erregend,
aber doch so Furcht erregend wie ein Quaken eben sein konnte. Der Dämon in ihm
erhob sich, und er stürzte sich auf sie. Ein Sturm von Füßen, die mit Schwimmhäuten
bewehrt waren, zerfetzenden Schnäbeln und peitschenden Federn raste auf die
Mörder zu. Sie rannten schreiend aus der Hütte. Molch jagte ihnen Flüche
quakend hinterher. Ich überließ den mörderischen Abschaum seinem Henker und
ging, um nach der Grausigen Edna zu sehen.
    Ich zog das Schwert aus ihrem
Rücken und rollte sie herum. Sie sah so friedlich aus. Fast war es eine
Schande, sie zu stören, aber immerhin war es ihr letzter Befehl gewesen.
    Meine Fähigkeit, mit den Toten zu
sprechen, war ein Geschenk meines Fluchs. Hexen kannten Wege, um mit den
Verstorbenen zu sprechen, aber das war komplizierte Magie. Ich hingegen konnte
die Seele eines frischen Leichnams durch eine bloße Berührung wecken.
Vorausgesetzt, die Seele befand sich noch in der Hülle. Der Geist bleibt
normalerweise ein paar Minuten, nur um sicherzugehen, dass der Körper auch
wirklich verstorben ist. Die Grausige Edna wusste ja, dass ich zurückkommen
würde und wartete sicher auf mich.
    Molch kam zurück in die Hütte
geschlendert. Er war zwar vollkommen blutverschmiert, doch nichts davon war
sein eigenes. Er hinterließ scharlachrote, schwimmhäutige Fußabdrücke auf
seinem Weg.
    »Sie sind tot.«
    Diese Nachricht war kein so großer
Trost für mich, wie ich gedacht hatte. Dass die Mörder tot waren, brachte mir
meine Herrin nicht zurück.
    »Das hättest du sehen sollen. Ich
habe das Herz des Dicken aufgespießt und es ihm noch gezeigt, bevor er starb.
Und der Kleine, dem habe ich mit drei Schnabelhieben den Kopf abgeschnitten.
Ich will ja nicht angeben oder so, aber es war schon sehenswert.« Er grinste,
aber sein Grinsen verschwand schnell. »Ach, verdammt. Ich kann gar nicht
glauben, dass sie tot ist.«
    »Still. Ich muss mich
konzentrieren.«
    Ich legte eine Hand auf ihren
Bauch und suchte nach der Seele der Grausigen Edna. Ich war mir nicht sicher,
dass ich es konnte. Bis dahin hatte ich nur an Tieren geübt: Hasen,
Eichhörnchen, Spatzen. Aber mein erster Mensch war nicht viel schwieriger. Es
dauerte nur einen Moment, und es gab überhaupt keinen Widerstand.
    Leben sprang in ihre Augen. »Hallo
Kind.«
    Sie wand sich steif auf dem Boden.
    »Sei so lieb und hilf mir auf,
ja?«
    Sie auf die Füße zu bekommen
erwies sich als schwierig. Ihr Leichnam und ihr Geist waren jetzt kaum noch
miteinander verbunden, und sie war schon zu Lebzeiten nicht gerade anmutig
gewesen.
    Mechanisch wackelte sie mit ihren
Fingern. »Ausgezeichnete Arbeit, Kind. Jetzt hilf mir zum Tisch.«
    Auf steifen Beinen trapste sie zum
Stuhl und setzte sich. Ihre Knie knackten. Sie klopfte auf den Stuhl neben
sich.
    »Schnell jetzt. Mein Körper ist
ein auslaufendes Gefäß, und wir haben nicht viel Zeit, bevor ich ihn dauerhaft
verlassen muss.«
    Ich setzte mich, und auch Molch
hüpfte auf den Tisch.
    »Lieber Junge, du siehst ja
schrecklich aus.«
    »Ich bin mit dem Blut deiner
Mörder besudelt. Du bist gerächt.«
    »Wohl kaum.« Die Grausige Edna
lächelte. Oder vielleicht zuckte ihre linke Gesichtshälfte auch nur, ohne dass
sie es merkte. »Diese beiden waren doch bloß die Werkzeuge eines anderen. Aber
ich weiß die Mühe trotzdem zu schätzen. Der Wille zählt.« Ihr Gesicht wurde für
einen Moment wieder ausdruckslos. »Aber jetzt haben das Mädchen und ich Dinge
zu besprechen. Dinge, die du nicht hören musst. Abgesehen davon tropfst du
meinen ganzen Boden voll. Geh nach draußen und mach dich sauber.«
    Ebenso wie ich stellte Molch die
Grausige Edna nie in Frage. Er quakte, bog seinen Schnabel nach oben und ging.
    Ich nahm die Hand der Grausigen
Edna. Sie hatte sich immer eiskalt angefühlt, selbst als sie noch am Leben war,
und früher hatte ich das tröstlich gefunden. Aber nicht heute.
    »Ich hätte bleiben sollen.«
    »Dann wärst du ebenfalls getötet
worden.«
    »Aber das waren nur brutale Kerle
...«
    »Brutale Kerle oder nicht, heute
musste hier eine Hexe sterben. Es gab keinen Ausweg.«
    »Die Vergangenheit, die noch nicht
geschehen ist«,
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