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Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)

Titel: Eine Handvoll Leben: Meine Kindheit im Gulag (German Edition)
Autoren: Monika Dahlhoff
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sich nicht beruhigen ließ, lauschte ich angestrengt auf das Brummen der Flugzeugmotoren, das dumpf über die Stadt hinwegzog. Dann dachte ich oft, vielleicht ist Papa in einem dieser Flieger und kommt doch zurück. Wenn ich es meiner Mutter erzählte, erklärte sie mir jedes Mal, dass dies die feindlichen Flieger seien, die gefährliche Bomben abwarfen, mit denen sie Häuser zerstören und Menschen umbringen konnten. Dann wartete ich gespannt auf das Krachen. Wenn es sehr laut krachte und alles im Kellerraum erzitterte und die Regale um uns herum schwankten, vergrub ich mein Gesicht voller Angst in meinem Schoß.
    Oma und Opa kamen uns häufiger besuchen, seitdem Papa tot war. Oma Clausen aber habe ich nicht mehr wiedergesehen, sie war, kurz nachdem sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte, selbst verstorben. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie noch einen Samtbeutel voll Schmuck mitgebracht und gesagt: »Das soll die Kleine mal bekommen, wenn sie schon keinen Vater mehr hat.« Ich freute mich über die vielen Ringe und Ketten, manche mit bunten oder hellen Steinen, weil sie so hübsch aussahen.
    Die seltenen Besuche bei den Großeltern entlockten mir jedes Mal Jubelrufe. Auf dem Gutshof war immer etwas los. Zu Hause konnte ich einen Teddy über das Gitterbettchen halten, und Peter lächelte mich an, mit der Hündin Elsa aber tobte ich über die Wiesen und die Felder. In Königsberg waren solch ausgelassene Tage rar. Nur wenn Oma und Opa bei uns vorbeischauten, gab es etwas zu lachen. Ich stellte mich auf Opas Füße, und er lief mit mir durch die Wohnung. Oma sang Lieder mit mir, und sie kannte jede Menge Ratespiele. Doch eines Tages wollte sie unbedingt Schule mit mir spielen. Ich selbst war schon zu meinem Kaufladen gelaufen. »Es ist wichtig, dass du weißt, wer du bist und wohin du gehörst«, erklärte Oma. »Falls du mal verloren gehst.«
    »Aber warum sollte ich denn verloren gehen?« Ich kicherte und kam hinter der Puppentheke wieder hervor. »Ich verspreche, dass ich hier bleibe. Und für die Schule bin ich doch noch viel zu klein.«
    »Nun komm, mein Liebes, so ein paar Fragen beantworten, das schaffst du.« Oma lächelte mir aufmunternd zu. »Wie heißt du?«
    »Och, das weißt du doch, Oma … Monika.«
    »Und wie heißt du noch?«
    »Monika Charlotte Clausen von Quitzro. So haben es mir Mama und Papa gesagt.«
    »Und wie heißt deine Mama?«
    »Oma, warum fragst du das? Du weißt das doch alles selbst.«
    »Kind, ich möchte, dass du es niemals vergisst. Also sei lieb und antworte mir.«
    »Charlotte.«
    »Und welche Haarfarbe hat sie?«
    »Blond. Ganz schön sieht sie aus.«
    »Und wie heißt dein Papa.«
    »Gerd … und er ist im Himmel.«
    »Du bist ein schlaues Kind«, lobte Oma mich. Ich wollte mich schon abwenden und meine Puppe holen, aber Oma ließ nicht locker. »Und wo wohnst du?« Jetzt wusste ich keine Antwort mehr. »In Königsberg in Ostpreußen in der Kneiphöfischen Langgasse siebenundachtzig, wiederhol das mal, meine Kleine.«
    Ich sprach es brav nach, nur die Hausnummer hatte ich mir nicht gemerkt.
    »Das üben wir nächstes Mal wieder, wenn wir uns sehen«, sagte Oma und nahm mich in den Arm.
    »Kommen wir denn auch bald mal wieder zu euch? Ich möchte so gern mit Elsa spielen. Und bäckst du dann Apfelkuchen?«
    Oma lachte. »Ja, dann backe ich Apfelkuchen.«
    Ich hatte oft Sehnsucht nach den Großeltern, den Tieren und den Kindern auf dem Hof. An Nachbarskinder in der Stadt kann ich mich nicht erinnern. Mama und ich gingen mit Peterchen im Kinderwagen anfangs noch spazieren, aber wegen des Krieges wurden diese Ausflüge an der frischen Luft seltener. Wenn sie mich zu Erledigungen mitnahm, beeilten wir uns jedes Mal. Die meisten Leute liefen mit gesenkten Köpfen umher und schauten nicht nach rechts und nicht nach links. Es lagen auch immer mehr Schuttberge auf den Straßen, manche Häuser hatten lange Risse, und Fenster waren zerbrochen und mit Pappe notdürftig abgedichtet. Mama zog an meinem Arm. »Komm schnell weiter, Monika.« Ich mochte diese Hast nicht.
    Es war im Sommer 1944, als die Fliegerangriffe häufiger wurden und oft Bomben laut in der Nähe einschlugen. Wir mussten immer wieder, ob tags oder nachts, in den Keller. An einem Nachmittag hörte ich wieder einmal die Sirenen jaulen. Aber Mama kam nicht angelaufen wie sonst, wenn ich in meinem Zimmer war. Ich hörte ihre Schritte im Schlafzimmer und ein Klappern, dann versank ich wieder in mein Kaufladenspiel. Ich weiß
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