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Eine Hand voll Asche

Eine Hand voll Asche

Titel: Eine Hand voll Asche
Autoren: Jefferson Bass
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im Gesicht spürte, überlegte ich auch, ob ich noch Augenbrauen hatte.
    Durch das Tosen und Knistern des schnell anwachsenden Feuers hörte ich über unseren Köpfen ein Flugzeug dröhnen. Ein kleines Flugzeug, das gerade von der Rollbahn des nahe gelegenen Flughafens gestartet war und einen Bogen in unsere Richtung zog. Während es kreiste, fiel das Stroboskoplicht an den Enden seiner Tragflächen immer wieder blitzend auf den Rauch aus den brennenden Autos, wie Blendgranaten, nur ohne Knall. Ich versuchte, sie wegzuwinken, doch falls sie mich überhaupt sehen konnten, ignorierten sie meine hektischen Gesten.
    Ich zog mich von meinem Schrottauto zurück und schaute zu dem anderen Wagen hinüber, der inzwischen ebenfalls lichterloh brannte. Trotz des gewaltigen Infernos stand Miranda kaum drei Meter vom Auto weg, schirmte mit einer Hand das Gesicht ab und blickte vollkommen fasziniert auf das Geschehen. Ich kämpfte mich durch die Hitzewellen und fasste sie am Arm. »Sie sind zu nah dran«, rief ich über das Zischen und Dröhnen des Feuers hinweg.
    »Aber sehen Sie nur!«, antwortete sie, ohne den Blick abzuwenden, und zeigte auf die Gestalt, die auf dem Fahrersitz zusammengesunken war. Ich schaute gerade rechtzeitig hin, um zu sehen, wie sich die Haut an der Stirn langsam abschälte, fast wie eine altmodische Bademütze. Als sich auch die Haut der Schädeldecke löste, wurde mir klar, dass das, was ich da sah, eine Skalpierung war. Eine Skalpierung mittels Feuer, nicht mittels eines Messers.
    »Sehr interessant!«, rief ich. »Aber Sie sind trotzdem zu nah dran. Dafür haben wir doch die Videokameras. Das ist gefährlich.«
    Wie um meine Aussage zu unterstreichen, ließ ein donnernder Knall die Luft erzittern. Miranda schrie auf, und ich schlang instinktiv beide Arme um sie und zog den Kopf ein. Aus einem Reifen quoll eine Rauchwolke – die Hitze hatte den Druck ansteigen lassen und den Gummi mürbe gemacht, bis er geplatzt war. Miranda und ich huschten zu Art in den Schutz des Tankwagens. »Ich hoffe, ihr habt die Benzintanks rausgeholt«, rief Art, »oder sie mit Wasser gefüllt!«
    »Warum?«
    »Falls noch Benzin drin ist. Ihr wollt bestimmt keine Dämpfe«, sagte er.
    »Die Autos sind vom Schrottplatz …«, setzte ich an, doch ich kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn in diesem Augenblick explodierte der Tank des Autos, neben dem Miranda gestanden hatte, und winzige Bruchstücke von heißem Glas regneten auf uns nieder wie eine höllische Version von Hagelkörnern. Der Ersatzreifen des Autos – von der Detonation aus dem Kofferraum geschleudert – schoss in hohem Bogen auf den Tankwagen zu, knallte auf die Motorhaube und durchschlug die Windschutzscheibe. Das wird ein langer , heißer Sommer , Bill Brockton , sagte ich mir, und du wirst einiges zu erklären haben .
    Das kreisende Flugzeug zog sich hastig in die sichere Dunkelheit zurück, und einen Augenblick später hörte ich die ersten Einsatzhörner.

2
    Mein Telefon läutete an diesem Morgen ungefähr zum siebenundachtzigsten Mal, und ich verhärtete mein Herz gegen die Not des Anrufers – das heißt, ich widerstand dem Reflex ranzugehen –, doch dann sah ich, dass die Anruferin meine Sekretärin Peggy war.
    Es war schließlich nicht so, als hätte Peggy nur von ihrem Schreibtisch mit dem Stuhl nach hinten rollen müssen, um den Kopf bei mir zur Tür hereinzustecken. Mein Büro – das Büro, in dem ich arbeitete, im Gegensatz zu meinem offiziellen Verwaltungsbüro – lag einige hundert Meter von ihrem entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions. Vor Jahren hatte ich Anspruch erhoben auf das letzte Büro am Ende des langen, gebogenen Flurs, der unter den Haupttribünen verlief. Hier war ich so abgelegen wie nur möglich, zumindest innerhalb der schäbigen Räumlichkeiten, in denen das Anthropologische Institut untergebracht war. In dieser Isolation konnte ich fünfmal so viel Arbeit erledigen, als wenn mein Büro am täglichen Trampelpfad sämtlicher Erstsemester, Doktoranden und Fakultätsmitglieder gelegen hätte. Doch ich hatte mit Peggy einen Handel abgeschlossen, als ich mich in diese entfernte Zufluchtsstätte zurückgezogen hatte: Wenn sie anrief, ging ich ans Telefon. Den Rest der Welt konnte ich ignorieren, sie nicht.
    »Hey«, sagte ich. »Was gibt’s?«
    »Sie kommt« war alles, was sie sagte.
    Ich wollte sie eben um Aufklärung bitten, als ich schon ein forsches Klopfen an meinem Türrahmen hörte. »Puh, vielen Dank
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