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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Autoren: Neil MacGregor
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und sie erzählen von der Welt, für die sie angefertigt wurden, ebenso wie von späteren Zeiten, in denen sie verändert oder an andere Orte gebracht wurden und mitunter Bedeutungen entwickelten, die ihre ursprünglichen Produzenten keineswegs im Sinn hatten. Es sind die Dinge, welche die Menschheit hervorgebracht hat, diese mit größter Sorgfalt gefertigten historischen Quellen und ihre oftmals kuriosen Reisen durch Jahrhunderte und Jahrtausende, die diese
Geschichte der Welt in 100 Objekten
zum Leben zu erwecken sucht. In diesem Buch finden sich alle möglichen Arten von Objekten, die mit großer Sorgfalt hergestellt und dann entweder bewundert und bewahrt oder benutzt, beschädigt und weggeworfen wurden. Die Bandbreite reicht vom Kochtopf bis zur goldenen Galeone, vom steinzeitlichen Werkzeug bis zur Kreditkarte, und sie alle stammen aus den Beständen des Britischen Museums.
    Die Geschichte, die sich aus diesen Objekten ergibt, wird vielen Lesern wenig vertraut vorkommen. Von bekannten Daten, berühmten Schlachten oder historischen Geschehnissen ist darin kaum die Rede. Kanonische Ereignisse der Weltgeschichte – die Entstehung des Römischen Reiches, die Zerstörung Bagdads durch die Mongolen, die europäische Renaissance, die Napoleonischen Kriege, der Atombombenabwurf auf Hiroshima – stehen nicht im Mittelpunkt. Aber natürlich sind sie präsent, sichtbar in der Brechung durch einzelne Objekte. So bestimmte beispielsweise die Politik des Jahres 1939, dass Sutton Hoo ausgegraben und wie es bewertet wurde (Kapitel 47). Der Stein von Rosette ist (neben vielem anderen) ein Dokument der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und dem napoleonischen Frankreich (Kapitel 33). Und der Amerikanische Bürgerkrieg wird hier aus der ungewöhnlichen Perspektive einer auf Hirschhaut gezeichneten indianischen Landkarte betrachtet (Kapitel 88). Stets habe ich Objekte ausgesucht, die viele Geschichten erzählen und nicht nur von einem einzigen Ereignis künden.
Die notwendige Poesie der Dinge
    Will man die Geschichte der ganzen Welt erzählen, also eine Geschichte, die nicht einen bestimmten Teil der Menschheit über Gebühr privilegiert, so schafft man das nicht allein durch schriftliche Quellen, denn nur ein Teil der Welt kannte Texte, während der Großteil der Welt die meiste Zeit über «schriftlos» war. Die Schrift ist eine der späteren Errungenschaften der Menschheit, und bis vor gar nicht allzu langer Zeit brachten selbst viele schreibkundige Gesellschaften ihre Nöte und Sehnsüchte nicht nur schriftlich, sondern auch in Gegenständen zum Ausdruck.
    Idealerweise sollte eine Geschichte Texte und Objekte vereinen, und in einigen Kapiteln dieses Buches gelingt das auch, doch in vielen Fällen ist es schlicht nicht möglich. Das deutlichste Beispiel für diese Asymmetrie zwischen schriftlicher und schriftloser Geschichte ist vielleicht die erste Begegnung zwischen Captain Cooks Expedition und den australischen Aborigines in der Botany Bay (Kapitel 89). Auf englischer Seite verfügen wir über wissenschaftliche Berichte und den Tagebucheintrag des Kapitäns von diesem schicksalsträchtigen Tag.Auf australischer Seite hingegen zeugt von diesem Ereignis lediglich ein Borkenschild, den ein Mann auf der Flucht verloren hat, nachdem er zum ersten Mal in seinem Leben den Schuss eines Gewehrs vernommen hatte. Wollen wir rekonstruieren, was an diesem Tag wirklich geschehen ist, muss der Schild ebenso intensiv und ernsthaft befragt und interpretiert werden wie die schriftlichen Berichte.
    Neben dem Problem des gegenseitigen Missverstehens gibt es noch ein weiteres: die zufälligen oder bewussten Verzerrungen des Sieges. Wie wir alle wissen, sind es die Sieger, welche die Geschichte schreiben, vor allem dann, wenn nur die Sieger schreiben können. Die auf der Verliererseite, diejenigen, deren Gesellschaften erobert oder zerstört werden, haben oft nur ihre Gegenstände, um ihre Geschichten zu erzählen. Die Taíno in der Karibik, die australischen Aborigines, die afrikanische Bevölkerung des Königreichs Benin und die Inka, die allesamt in diesem Buch vorkommen, können uns Heutigen von ihren vergangenen Errungenschaften am eindrucksvollsten mittels der Objekte berichten, die sie hergestellt haben: Eine Geschichte, die anhand von Dingen erzählt wird, gibt ihnen ihre Stimme zurück. Betrachten wir den Kontakt zwischen schreibkundigen und analphabetischen Gesellschaften wie diesen, so liefern all unsere Berichte aus
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