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Eine geheime Liebe - Roman

Titel: Eine geheime Liebe - Roman
Autoren: PeP eBooks
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Zuschauersaal. Ich saß auf einem Platz in der Mitte in Reihe N. Mein Gedächtnis für den Sitzplan ist noch vollkommen intakt. Ich könnte mit geschlossenen Augen die Parkett- und Logenplätze in Preisgruppen einteilen. Früher wurde man dazu erzogen, Details nicht zu vernachlässigen, und diese Gewohnheit ist mir unweigerlich geblieben.
    »Alles war unverändert und vertraut. Auf den Plakaten stand das Programm des Abends, das Konzert schloss mit der Vierten von Brahms. Ich fragte mich, ob Valeria das absichtlich getan hatte. Als ich so aufgeregt wie beim ersten Konzertbesuch Platz nahm, spürte ich schon die Unruhe, die mich beim Auftritt des Dirigenten packen würde. Einen kurzen Moment lang würde mich seine Silhouette an die Zeit des Maestro erinnern. Mein Körper zitterte in einer Weise, die ich längst überwunden glaubte. Nach seinem Tod hatte ich nicht mehr ins Konzert gehen wollen. Seit jenem Tag ist die Musik eingeschlossen zwischen den vier Wänden meines provenzalischen Hauses, wo sich wie aufrichtige, treue Freunde die CDs drängen.
    »Ich schlug die Zeit tot, indem ich im Programmheft blätterte und mit angespannten Nerven nach einem Zeichen suchte. Es bereitete mir Vergnügen, den Namen in der Liste der Orchestermusiker die Gestalten und Gesichter der Menschen zuzuordnen, die nach und nach die Bühne betraten und sich an ihren Pulten niederließen. Unter den Solocellisten ist mir dein Name ins Auge gestochen, Lucrezia.
Ich habe dich in der Streichergruppe gesucht. Du musstest etwa dreißig Jahre alt sein.«
    Unsere Unterhaltung wurde von einem höflichen Kellner unterbrochen, der mit einem Servierwagen voller Köstlichkeiten hinter mir aufgetaucht war. Ich entschied mich für ein Pistazien-Mandel-Soufflé und empfahl meinem Gast ein Schüsselchen Pannacotta mit Lakritz. Sie kommentierte es gar nicht, sondern sah mich nur an und bat mich mit einer gewissen Nervosität fortzufahren.
    »Das Schicksal, das sich mit deinem Namen verband, stand mir klar vor Augen, mit aller Macht meiner Neigung, alles in Symbole zu verwandeln und die überdeutlichen Zeichen, die mich an diesen Ort geführt hatten, bereitwillig zu würdigen. Ich habe dich sofort erkannt. Das schwarze Kleid verlieh dir eine gleichsam selbstverständliche Eleganz. Die vornehme Haltung des neunzehnten Jahrhunderts. Du bist wie dein Vater, Lucrezia.«
    »Warum haben Sie mich an dem Abend nicht angesprochen?«
    Sie fühlte sich beobachtet, Gabriella. Einen Moment lang hatte ich die Befürchtung, ich hätte sie verletzt, aber ihr Lächeln genügte, um diesen Gedanken zu verscheuchen.
    »Während des Konzerts hatte ich für nichts anderes Augen als für dich. Du hast dich vor dem Dirigenten und dem Publikum mit Gesten sehr zurückgehalten. Um eine solche Vorsicht gegenüber der Welt habe ich Menschen immer beneidet. Mir war das nicht gegeben. Ich hätte dich in der Pause nicht ansprechen können. Es ist etwas passiert, auf
das ich nicht vorbereitet war, etwas, auf das ich jahrelang gewartet hatte. Plötzlich begriff ich, dass ich an jenem Abend unter dem schützenden Mantel der vergangenen Zeit sagen könnte, was ich mich zuvor nie zu sagen getraut hätte. Das Leben gab mir die Gelegenheit, etwas zu erklären, ohne länger Angst haben zu müssen, missverstanden zu werden. Unvermutet teilte das Schicksal mir zu, was meine Träume immer in Anspruch genommen hatte, verstehst du?«
    »Reden Sie weiter, Signora. Bitte.«
    Ihre Stimme war ruhig und gelassen, als würde mein Bericht sie nicht weiter überraschen. Das Geräusch des Windes draußen vor dem Lokal hatte nichts Störendes und begleitete meine Worte mit natürlicher Musikalität.
    »Als nach dem Violinkonzert von Brahms das Licht anging, gehorchten meine Augen einem einzigen Impuls: ihn zu finden. Im Parkett nahm ich einen merkwürdigen Stillstand wahr. Die Menschen strömten ins Foyer, aber für mich schien die Szene in einem Standbild eingefroren. Die Gestalten der Frauen waren groß und geheimnisvoll, die Kinder wirkten befangen in der steifen, von einer solchen Gelegenheit geforderten Kleidung. Reglose Gestalten in einem Meer aus Samt. Unschuldige Protagonisten auf einem neuen Foto, das in seinem Rahmen in der Küche hing. Kokett habe ich mich gefragt, wie ich aussehe. Und wie sich zwei alte Menschen wahrnehmen.
    »Ich bin seinem Blick begegnet, der sofort dunkel und ernst wurde. Einen unendlichen Moment lang hat er mich angeschaut. Ohne jedes Erstaunen. Ich bin auf ihn zugegangen,
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