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Eine geheime Liebe - Roman

Titel: Eine geheime Liebe - Roman
Autoren: PeP eBooks
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und sicher, wie ich es nie verlernt habe. Er war groß und immer noch schön, Lucrezia. Sein Haar war lang und dicht. Vollkommen weiß allerdings. Seine Kleidung hatte nichts Aufdringliches, dafür hatte er immer schon einen Sinn. Es war, als würde ich mich selbst wiedersehen - im Alter von vierzig, am selben Ort, im selben Kleid. Das sanfte Lächeln verlangte nach keinen weiteren Erklärungen. In diesem Moment hätte ich ohne Groll vom Leben lassen können.
    »Er kam durchs Parkett auf mich zu, sanft, leidend, den Rücken leicht gebeugt. Gerührt habe ich seine großen Schritte wiedererkannt. Nie war ich mit ihm mitgekommen, da ich drei Schritte brauchte, wenn er einen machte. Wie ein stolzer Vater sah er aus und musste dich mir gar nicht zeigen. Er musste mich auch nicht fragen, was ich ausgerechnet an jenem Abend dort tat. Kennst du das Spiel des ›Sag’s nicht‹, Lucrezia? Uns ist das immer gelungen. Ich habe es auch den Kindern beigebracht und ihnen erklärt, dass man, wenn man jemanden sehr lieb hat, ihm etwas ohne Worte mitteilen kann, wenn man sich ganz stark darauf konzentriert. Nur wenn man jemanden wirklich liebt, wird er die Nachricht verstehen. Meine Enkel probieren es manchmal mit ihrer Lehrerin, und es funktioniert nie. Wenn sie es aber mit mir versuchen, erzielen sie immer den gewünschten Erfolg. Das Publikum ging für den zweiten Teil des Konzerts wieder hinein. Wir hatten uns auf ein rotes Sofa im Foyer im ersten Stock gesetzt.

    Sie ist schön. Und sehr gut, habe ich gesagt und ihn in seinem väterlichen Stolz bestärkt.
    Sie ist besser als ich. Sie ist Solocellistin.
    Lucrezia ähnelt dir.
    Du hast dich nicht verändert.
     
    »Ich musste lächeln über diese späte Großzügigkeit. Nach dreißig Jahren waren unsere Rollen immer noch dieselben. Ich war die Reizbare, Leidenschaftliche, er war genauso, wie ich ihn in Erinnerung hatte, die Bewegungen leicht verlegen, die ganze Art etwas bedächtig. Ich erfuhr, dass er sich vor etlichen Jahren von seiner Frau getrennt hatte. Und dass er wieder Cello spielte. Ich habe ihn nicht gefragt, ob er wieder geheiratet hat. Er hat es mich auch nicht gefragt. Die Zeit schien aufgehoben und wollte die offenen Rechnungen anscheinend vergessen machen. In aller Freundschaft. Mir wurde bewusst, dass er der einzige Musiker war, in den ich mich je verliebt hatte. Ich sagte es ihm. Aus statistischen Gründen. Ab und zu kam eine Platzanweiserin vorbei, zögerte und traute sich nicht, dieses so vertrauliche Gespräch zu unterbrechen, um darauf hinzuweisen, dass gleich der zweite Teil des Konzerts beginne. Brahms lenkte unsere Unterhaltung wie ein fernes Seufzen, wie einst vor vielen Jahren bei einer denkwürdigen Vierten. Die Banalitäten, die verspätete Begegnungen sonst begleiten, ersparten wir uns. Mir fiel auf, dass ihn meine perfekte Selbstbeherrschung nicht mehr störte. Vielleicht hätte, wie damals, nur wenig gefehlt, um mich aus dem Konzept zu bringen, die schneidende Kälte
etwa, mit der er mich manchmal so verletzt hatte. Die Entfernung hatte uns etwas über uns gelehrt: Um unserer Liebe die Luft zum Atmen zu lassen, hätten wir ihren inneren Rhythmus respektieren müssen, den Wechsel von Anziehung und Abstoßung, den er immer hinter einer gewissen Leichtigkeit zum Verschwinden bringen wollte.«
    »Das war eine fíxe Idee von ihm, das mit der Leichtigkeit.«
    »Ich musste die Leidenschaft opfern und in Hingabe verwandeln.«
    Durch einen merkwürdigen perspektivischen Zufall setzte sich das Bild von einer winzigen alten Dame und einem faszinierenden, streng dreinschauenden Herrn in den vergoldeten Foyerspiegeln bis ins Unendliche fort. Es war, als wollten die Jahre uns die bildliche Darstellung des Alters ersparen. Ich sage es ohne jede Eitelkeit, das kannst Du mir glauben, aber ich erinnere mich noch ganz genau: Die Falten, die unsere Gesichter zeichneten, konzentrierten sich auf die Gegend um die Augen herum, die, so schien es, nichts von ihrer Leuchtkraft eingebüßt hatten. Sie hatten Frieden gefunden. Dass man alt ist, merkt man vielleicht erst, wenn man sich im Alter der anderen spiegelt. Ich betrachtete ihn aufmerksam und versuchte, diese letzte Gelegenheit einer Begegnung zu nutzen. Nichts Fremdes war an ihm, als würde sich die Erinnerung dagegen sperren, zur Erinnerung zu werden. Alles war so lebendig, dass die Jahre mit einem Handstreich fortgewischt schienen. Er hatte die Beine auf dem roten Teppichboden ausgestreckt, und in diesem
Foyer, das
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