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Eine geheime Liebe - Roman

Titel: Eine geheime Liebe - Roman
Autoren: PeP eBooks
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wie für ein Fest aus der Jahrhundertwende geschmückt war, wirkten sie dünner denn je. Das Alter erlaubt sich Scherze, bei denen das Gedächtnis nicht mitkommt. Was soll’s, Gabriella. Ich weiß nur, dass er meine Ohrringe betrachtet und sie wiedererkannt hat.
    »Ich werde es nie gutheißen können, wenn jemand kapituliert, Lucrezia, aber an jenem Abend habe ich begriffen, dass es ein Fehler war, vor dieser unvollendeten Liebe zu fliehen. Meine Verehrung für ihn war nicht im Mindesten verblasst. Wir sind in eine Loge gegangen, die aus irgendeinem Grund leer war. Sanft hat er seine schöne Hand auf meine Schulter gelegt, und wir haben zusammen den vierten Satz angehört. In jenem Moment war es, als hätte ich die offenen Rechnungen meines Lebens beglichen. Zum letzten Mal habe ich seine Handgelenke angeschaut. Sie waren zart und elegant. Mittlerweile hatte er gelernt, wie schwer es ist, als starker Mensch mit einem schwachen Körper zu leben. Er wusste, dass ich sein Bedürfnis verstand, den Stolz zu wahren, ohne die Zerbrechlichkeit verstecken zu müssen. Ich habe ihm alles über mich erzählt. Dass ich ihn liebe, wusste er bereits. Als er starb, wusste er außerdem, dass ich auch seine Freundin war. Das, was er sich am meisten gewünscht hatte.«

Vierter Satz
    Montag

    Gabriella,
    heute Morgen ist sie sehr früh abgereist, Richtung Paris, wo drei Konzerte in der Salle Pleyel auf sie warten. Ich habe sie an der Haustür umarmt, ohne sie noch bis zum Tor begleiten zu können. Ihre schöne Hand umklammerte schützend den Griff vom Cellokasten, während ihre Augen direkt in die meinen sahen, erfüllt von der Ruhe um uns herum.
    Auf ihren Lippen schienen kostbare Worte zu lauern. Sie wurden von einer unsichtbaren Gebärde gebremst, die zur Stille mahnte. Der Gürtel des Kamelhaarmantels schnürte ihre Taille ein. Nie ist sie mir so empfindlich vorgekommen in diesem Körper, der bei der geringfügigsten Grobheit zu zerbrechen drohte. Selbst die unscheinbarsten Einzelheiten dieses Abschieds wollte ich im Blick behalten und betrachtete sie aufmerksam im einzigen Lichtstrahl, der bleich und diskret durchs Fenster fiel.
    »Ich werde Ihnen schreiben, Signora. Danke für Ihre Gastfreundschaft. Es waren unvergessliche Tage.«
    Denkst Du, ich könnte auch nur einen einzigen Moment dieses Besuchs vergessen, Gabriella? Unannehmlichkeiten habe ich immer gut verdrängen können. Menschen
nicht. Sie gehen und ziehen leuchtende Spuren von Leid und unwiderruflich erloschener Heiterkeit hinter sich her. Diese Briefe noch einmal zu lesen, hätte keinen Sinn gehabt. Sie wie Relikte einer strahlenden Liebe aufzubewahren, ebenfalls nicht. Der über alle Maßen geliebte Mann war tot. Woanders. Ich nicht. Die Idee, an einem anonymen Grab Tränen zu vergießen, kam mir nicht einmal flüchtig in den Sinn. Um ein solches Interesse zu wecken, hätte er ein berühmter Musiker, Maler oder Schriftsteller sein müssen. Einer von denen, welche die Seele verletzen. Mit einem Lächeln. Die unbekannte Grabstätte in der Nähe von Florenz würde nie meine Fotosammlung berühmter Grabsteine bereichern. Was für einen Sinn hätte es, so weit zu fahren, um einem Toten alte, zerfledderte Liebesbriefe vorzulesen. Ich hatte das Bedürfnis nach Musik. Die Vierte von Mahler passte perfekt zu meinem Gemütszustand, zur Traurigkeit dieses hastigen Abschieds, der mich überraschenderweise aber auch befreit aufatmen ließ. Die Welt mit ihren banalen Geräuschen war ein anderer Ort. Mein Inneres war von ungewöhnlicher Ruhe erfüllt. Besser ins Wohnzimmer gehen und aufräumen. Durch ein achtlos aufgelassenes Fenster kam die Kälte herein, eine scharfe Klinge, die sich bei der ersten unvorsichtigen Bewegung auf mein Gesicht stürzen würde. Die Schachtel stand immer noch auf dem Tisch. Die Seiten verbeult. Unordentlich. Offen. Ein Gegenstand für den Flohmarkt. Am Deckel lehnten zwei identische elfenbeinfarbene Umschläge. Geschlossen. An mich adressiert. Einer trug die unverwechselbare schräge Schrift, unsicher,
spitz. Diesen Umschlag ließ ich bis zum Abend geschlossen. Der andere war von Lucrezia.
    Verehrte Signora, hier ist der Brief, den ich in einer Schreibtischschublade meines Vaters gefunden habe, neben den Anweisungen für seine Beerdigung. Der entscheidende Schritt. Ich hoffe, er ist ein Lichtstrahl für Sie. Ein paar Tage, bevor er gestorben ist, hat er mich zu sich gerufen und gesagt: »Ich möchte, dass du eine Frau kennen lernst, Lucrezia. Sie war
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