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Eine dunkle & grimmige Geschichte

Eine dunkle & grimmige Geschichte

Titel: Eine dunkle & grimmige Geschichte
Autoren: Adam Gidwitz
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Rabe.
    »Aber das ist noch nicht alles«, sagte der zweite Rabe traurig. »Denn auch wenn die beiden Liebenden dieser Tragödie entkommen, so wartet noch eine allerletzte Gefahr auf sie. Wenn sie auf der Hochzeitsfeier zu tanzen beginnen, wird die frisch vermählte Königin ohnmächtig zu Boden fallen und sterben.«
    »Großer Gott, das ist ja grauenhaft!«, rief der erste Rabe. »Kann das denn niemand verhindern?«
    »Oh, das ist möglich«, sagte der dritte Rabe. »Wenn jemand in die Lippe der Königin beißt und drei Blutstropfen aus ihren Lippen saugt, dann bleibt sie am Leben. Aber was bringt das schon? Falls er erzählt, warum er es tat, würde er sich in Stein verwandeln – von seinem Herzen bis zu seinem Scheitel.«
    »Zu Stein?«, fragte der erste.
    »Ja, zu Stein«, antwortete der dritte.
    Und nachdem sie gesprochen hatten, schüttelten sie ihre schwarzen Schnäbel, seufzten traurig und erhoben sich gen Himmel.
    Der treue Johannes hatte alles mitgehört und begrub verzweifelt seinen Kopf in den Händen. Er wusste, was er zu tun hatte, und er wusste, dass es kein gutes Ende nehmen würde.
    Alles geschah, wie die Raben es vorausgesagt hatten. Nachdem sie an Land gekommen waren und der König und seine Zukünftige die Diener und Höflinge begrüßt hatten, galoppierte ein bildschöner haselnussbrauner Hengst auf sie zu. Der König, von der Schönheit des Tieres in den Bann gezogen, wollte in einem triumphalen Ritt zum Schloss galoppieren. Aber bevor er aufsteigen konnte, sprang Johannes auf den Rücken des Pferdes, zog sein Schwert und schnitt dem Tier die Kehle durch. Sein seidener Umhang sog sich mit warmem, rotem Blut voll. Sterbend sank der Hengst zu Boden.
    Die Menge schrie auf. Die anderen Bediensteten, die den treuen Johannes noch nie gemocht hatten, flüsterten: »Verrat! Verrat! Er hat den neuen Hengst des Königs getötet!«
    Der König blickte zuerst Johannes an und dann das tote Pferd. Das Gesicht von Johannes war vollkommen ausdruckslos. Endlich sprach der König: »Johannes hat meinem Vater und dem Vater meines Vaters treu gedient und auch dessen Vater. Er hat uns immer beigestanden. Ich vertraue ihm. Was er getan hat, muss richtig sein.«
    Über die Sache sprach keiner mehr ein Wort und die Gruppe ging zu Fuß zum Schloss.
    Als sie das Tor erreichten, lag dort ein herrliches, goldenes Hochzeitskleid, gebettet auf lilafarbenen Rosen.
    »Das werde ich zur Hochzeit tragen«, rief die zukünftige Königin und griff nach dem wunderschönen Kleid. Aber bevor sie es anfassen konnte, riss Johannes es aus seinem Blumenbett, ging in den großen Saal und warf es ins Feuer.
    Wieder schrie die Menge bestürzt auf. Die Diener steckten die Köpfe zusammen und flüsterten: »Verrat! Verrat!«
    Aber der König brachte sie zum Schweigen. »Johannes war schon immer mein treuer Diener. So werde ich ihm vertrauen. Was er getan hat, muss richtig sein.«
    Der junge König und die Prinzessin wurden am nächsten Tag vermählt. Die Prinzessin sah besonders schön aus. Ihre meerblauen Augen glänzten vor Glück. Aber Johannes beobachtete das Geschehen angsterfüllt.
    Braut und Bräutigam gingen zur Tanzfläche und dieMusik setzte ein. Doch kaum hatten sie zwei Schritte getan, sank die Braut ohnmächtig nieder. Bevor sich jemand rühren konnte, stürzte sich Johannes auf sie, hob sie vom Boden auf und trug sie aus dem Saal.
    Er rannte durch den leeren Korridor, die Königin in seinen Armen, zu einem eng gewundenen Treppenaufgang, der zu dem höchsten Turm des Schlosses führte. Dort befand sich sein privates Gemach. Dort angekommen, legte er sie vorsichtig auf den Boden, beugte sich über sie und biss sie mit seinen beiden fauligen Zähnen in ihre Lippe. Als die ersten Blutstropfen aus ihrer Lippe quollen, saugte der so furchtbar hässliche Mann unendlich sanft drei Tropfen Blut daraus.
    Die Königin begann sich wieder zu rühren. Genau in diesem Moment platzte der König herein. Er war Johannes durch den ganzen Palast gefolgt und hatte durch einen Spalt in der Tür beobachtet, wie sein Johannes, sein einst so treuer Johannes, seiner Königin etwas Unaussprechliches angetan hatte.
    »Verrat!«, brüllte er so laut er konnte. »Verrat!«
    Die anderen Diener eilten ihrem König zu Hilfe.
    »Mein König!«, sagte Johannes. »Bitte! Vertraut mir!«
    »Bringt ihn in den Kerker!«, rief der junge König. »Morgen stirbt er!«
    Am nächsten Tag führte man Johannes vom Kerker zu einem Scheiterhaufen. Dort wurde er gefesselt, und
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