Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine bezaubernde Erbin

Eine bezaubernde Erbin

Titel: Eine bezaubernde Erbin
Autoren: Sherry Thomas
Vom Netzwerk:
Laufe ich davon? Meine Fertigkeiten als Dame sind jenseits der Mauern dieses Hauses nicht sehr nützlich. Biete ich meine Dienste als Gouvernante an? Ich weiß nichts über Kinder – rein gar nichts. Weigere ich mich einfach und warte ab, ob mein Vater mich so sehr liebt, dass er mich nicht enterbt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Mut dazu habe, das herauszufinden.“
    Er rieb die Ecke eines Notenblattes zwischen seinen Fingern. „Wie ertragen Sie das?“
    Dieses Mal lag kein anklagender Unterton in seiner Frage. Wenn sie wollte, konnte sie darin sogar eine Art trostloses Mitgefühl erkennen. Was ihr Elend, dieses garstige Monster mit messerscharfen Zähnen, nur steigerte.
    „Ich beschäftige mich mit anderen Dingen und denke nicht zu genau darüber nach.“ Ihre Stimme klang so bitter, wie sie es sich nur selten gestattete.
    Da, jetzt war es klar. Sie war ein stumpfsinniger Automat, der alles tat, was andere ihm auftrugen: aufstehen, schlafen gehen und zwischendurch eine Menge Verachtung von künftigen Ehemännern ernten.
    Sie hatten einander nichts mehr zu sagen und tauschten nur noch die üblichen Höflichkeiten am Ende ihres Vortrages aus. Jeder applaudierte. Mrs Clements sagte sehr nette Dinge über Millies musikalisches Können – was sie aber kaum hörte.
    Der Rest des Abends zog sich in die Länge so lange wie Königin Elizabeths Herrschaft.
    Mr Graves, der für gewöhnlich sehr ruhig und schweigsam war, unterhielt sich lebhaft mit dem Earl über Kricket. Millie und Mrs Graves hörten sich aufmerksam Colonel Clements‘ Armeegeschichten an. Hätte jemand durch das Fenster hineingesehen, wäre ihm die Gesellschaft im Salon äußerst normal und recht gut gelaunt erschienen.
    Und doch lag genug Kummer in der Luft, um Blumen welken und Tapeten sich verziehen zu lassen. Niemand bemerkte die Niedergeschlagenheit des Earls. Und niemand – außer Mrs Graves, die Millie immer wieder besorgt musterte – bemerkte ihre. War Unglück wirklich so unsichtbar? Oder wandten die Leute einfach nur den Blick davon ab, als handelte es sich um Aussatz?
    Nachdem die Gäste gegangen waren, erklärte Mr Graves das Abendessen zu einem succès énorme, einem gewaltigen Erfolg . Und er, der dem vorherigen Earl durch und durch skeptisch gegenübergestanden hatte, lobte dessen jungen Nachfolger in den höchsten Tönen. „Ich freue mich darauf, Lord Fitzhugh zum Schwiegersohn zu haben.“
    „Er hat mir noch keinen Antrag gemacht“, erinnerte ihn Millie. „Und er wird es vielleicht auch nie tun.“
    Zumindest hoffte sie das. Sollten sie doch jemand anderen für sie finden. Irgendjemand anderen. „Oh, er wird dir auf jeden Fall einen Antrag machen“, sagte Mr Graves. „Er hat keine andere Wahl.“
    „Hast du wirklich keine andere Wahl?“, fragte Isabelle.
    In ihren Augen glitzerten Tränen. Hilflosigkeit brannte in Fitz. Er konnte nichts tun, um diese Zukunft aufzuhalten, die wie ein entgleister Zug auf ihn zuraste, und noch weniger, um den Schmerz der Frau, die er liebte, zu lindern.
    „Die einzige Wahl, die ich habe, ist, nach London zu gehen, um eine andere Erbin zu finden, die bereit ist, mich zu heiraten.“
    Sie wandte ihr Gesicht ab und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Wie ist sie, diese Miss Graves?“
    Wen kümmerte das schon? Er konnte sich nicht an ihr Gesicht erinnern. Er wollte es auch gar nicht. „Es gibt nichts, was gegen sie spricht.“
    „Ist sie hübsch?“
    Er schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht. Und es interessiert mich auch nicht.“
    Sie war nicht Isabelle – sie konnte nie hübsch genug sein.
    Es war ihm unerträglich, Miss Graves als unverrückbaren Teil seines Lebens zu betrachten. Er fühlte sich missbraucht. Er hob die Schrotflinte und drückte den Abzug. Fünfzehn Meter von ihnen entfernt explodierte eine Tontaube. Der Boden war von Scherben übersät. Es war eine qualvolle Unterhaltung gewesen.
    „Nächstes Jahr um diese Zeit könntest du ein Kind haben“, sagte sie mit brechender Stimme. „Die Graves wollen ja was für ihr Geld haben – und das schon bald.“
    Oh Gott, natürlich würden sie das von ihm erwarten. Eine weitere Tontaube zersprang. Er spürte den Rückstoß an seiner Schulter kaum.
    Es war ihm zunächst nicht so schrecklich vorgekommen, aus heiterem Himmel Earl zu werden. Er wusste sofort, dass er seine Pläne, in die Armee einzutreten, aufgeben musste: Ein Earl, auch wenn er noch so arm war, war zu wertvoll, um an vorderster Front zu kämpfen. Es war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher