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Eine Andere Welt

Eine Andere Welt

Titel: Eine Andere Welt
Autoren: Philip K. Dick
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unbekannte Größe ist, die der Polizei auffällt.
    Der Versuch, seine Identität zurückzufinden, führt Jason Taverner der Reihe nach zu verschiedenen Frauen: Heather Hart, wie er eine »Sechser«, wie er kalt, zynisch, arrogant, nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Sie weist ihn ab, als er ihre Hilfe benötigt, obwohl ihm – der er ja noch über sein Gedächtnis verfügt – Details aus ihrem Leben bekannt sind, die kein Außenstehender kennen kann.
    Das Mädchen Kathy schließlich besorgt ihm falsche Papiere; sie ist moralisch indifferent gezeichnet. Aus Sorge um ihren noch lebend gewähnten Mann arbeitet sie gleichzeitig als Polizeispitzel; sie handelt zwar moralisch falsch, aber dennoch aus Liebe; ihr fehlt ganz einfach das Wissen um Gut und Böse.
    Taverners alte Bekannte Ruth Rae ist ebenfalls gefühlskalt. Schon alternd, geht es ihr lediglich um eine oberflächliche sexuelle Beziehung; Taverner als Mensch interessiert sie nicht.
    Mary Ann Dominic, die Töpferin, ist introvertiert, schüchtern, bescheiden; sie verkehrt nur noch über ihre Kunst mit der Welt, kapselt sich von allem Tagesgeschehen ab, interessiert sich nicht für das, was um sie herum geschieht. Dennoch ist sie am sympathischsten gezeichnet; wenngleich sie Taverner nicht verstehen kann, in einer ganz anderen Welt lebt als er, will sie ihm helfen.
    Alys Buckman letztendlich, die Schwester von Jason Taverners großem Gegenspieler, dem Polizeigeneral, symbolisiert das abgrundtief Böse; menschliche Regungen wie Mitgefühl oder Barmherzigkeit sind ihr fremd, als häe man die zuständigen Instanzen in ihrem Gehirn entfernt; sie ist eine bloße Reflexmaschine, die sich permanent mit einem Draht im Lustzentrum des Gehirns stimuliert. Alys Buckman ist es auch, die Jason Taverner mit einer neuentwickelten Droge in ihr eigenes Universum hineingezerrt hat; als sie stirbt, normalisiert sich für ihn die Welt wieder.
    Liebe und Gefühle – bei diesen Personen fühlt man sich unwillkürlich an einen zweiten Themenkreis im Werk Dicks erinnert, das Problem der Replikanten oder Androiden, der Menschmaschinen. Die hier vorgestellten Charaktere haben ihr Gefühlsleben in gewissem Ausmaß verloren – Alys Buckman als Paradebeispiel – und können Jason Taverner keine echten Gefühle mehr entgegenbringen. Gerade um diesen Konflikt ging es dem Autor bei der Niederschri dieses Romans. »Die Wirklichkeit, die ich in meinem Leben und im menschlichen Leben allgemein gefunden habe, ist die Fähigkeit zu lieben, und die Macht, die diese Liebe über jenen ausübt, der sie gibt, und über jenen, der sie empfängt«, schrieb Dick im Jahre 1970 über EINE ANDERE WELT. »Die Art von Liebe, die ich meine, ist eine Art der Liebe, von der ich mir häe nie träumen lassen, daß es sie gibt. Es ist nicht die sexuelle Liebe per se; es ist nicht die platonische Liebe, oder die Liebe zu Tieren oder Kindern oder Frauen oder Männer – es ist eine mystische Liebe, und ich habe sie schwarz auf weiß festgehalten.«
    Am Ende des Romans empfindet Polizeigeneral Felix Buckman diese Liebe für ... Jason Taverner? Vielleicht. Oder für seine tote Schwester, ihr gemeinsames Kind. Er weiß einfach nicht, auf wen sie gerichtet ist, weiß nur, daß er sie empfindet. Als Buckman zu weinen anfängt*, begrei der Leser auf einer nicht verbalen oder unterbewußten Ebene, warum er weint, auch wenn Buckman selbst dieses Wissen versagt bleibt.
    So nimmt die Schilderung des Kaninchens, das versucht, ein Leben als Katze zu führen (11. Kapitel) eine zentrale Rolle im Roman ein – »it‘s dead center in the novel«, bemerkte Dick; mit Leichtigkeit lassen sich andere Szenen finden, in denen Liebe zu Tieren, Menschen etc. symbolisiert werden; sie alle kulminieren in jene Art der mystischen Liebe, die Buckman schließlich empfindet, auch wenn sie ihn nicht läutert. Zumindest befreit sie Taverner endgültig aus der Welt, in die es ihn verschlagen hat.
    Der Titel des amerikanischen Originals – FLOW MY TEARS, THE POLICEMAN SAID – wurde angeregt durch die Strophen zur Laute »Lachrimae« von John Dowland (ca. 1598), die Dick als erste abstrakte Musik der Moderne bezeichnet; den vier Teilen des Romans sind die Strophen 1-3 und 5 vorangesetzt. Auch der deutsche Titel – EINE ANDERE WELT – ist vielschichtig zu sehen. Zum einen verschlägt es Jason Taverner tatsächlich in »eine andere Welt«; zum anderen liegt ein deutliches Menetekel in diesen drei Worten.
* Auf diese Szene bezieht sich der
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