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Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein verzauberter Sommer: Roman (German Edition)
Autoren: Juliet Hall
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sagte.
    »Sie ist ganz aus Seeglas gemacht«, erklärte Tonino.
    »Weil sie aus dem Meer gekommen ist.« Tess konnte die Farbtöne der rund geschliffenen Glasstückchen erkennen. Der Körper war in Nuancen von Türkis und Meergrün gestaltet, Hände, Arme und Gesicht schimmerten violett, und das Haar prangte in Gelb- und Brauntönen.
    »Und das fehlende Teil?«, fragte sie ihn.
    Er wies auf das blauviolette Auge, das eine vollkommene Mandelform aufwies.
    »Du hast es gefunden!«
    »Es war nicht leicht.« Er grinste. »Aber es ist das Warten wert gewesen, findest du nicht auch? Es ist ein ganz besonderes Stück. Ich habe es gleich da hinten bei den Felsen gefunden.«
    »Ja, es ist wirklich hübsch.« Tess hatte das Gefühl, dass er sie aufzog. »Was hat die Meerjungfrau denn nun zu bedeuten? Willst du mir nicht ihre Geschichte erzählen?«
    Er setzte sich hin und dachte einen Moment nach. »Ein Fischer aus Cetaria entdeckte die Meerjungfrau draußen auf il faraglione «, begann er. »Sie schaute in den Spiegel und kämmte ihr langes, goldbraunes Haar.« Lächelnd zeigte er darauf. »Sie soll nur bei Vollmond erschienen sein.«
    »So wie heute«, flüsterte Tess und schaute auf die Felseninseln im Meer hinaus.
    »So wie heute«, pflichtete er ihr bei. »Ihr Spiegel reflektierte den Glanz des Meeres. Der Fischer fühlte sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen. Er saß auf den Felsen und lauschte ihrem Lied. Es war das schönste, das er je gehört hatte.«
    Er hielt inne, und Tess spitzte die Ohren. Aber sie hörte nur, wie das Wasser gegen die Felsen schlug, und das leise Plätschern und Rauschen, mit dem sich die Wellen am Strand brachen und sich wieder zurückzogen.
    »Doch es reichte ihm nicht, sie nur einmal im Monat zu hören«, fuhr Tonino fort. »Er wollte ihr jede Nacht lauschen. Er wollte mehr.«
    Tess nickte. Wollte das nicht jeder? »Was hat er getan?«
    »Er hat versucht, sie festzuhalten. ›Du darfst nicht ins Wasser zurückkehren‹, sagte er zu der Meerjungfrau.« Toninos Stimme nahm einen anderen Ton an; er schien zu dem Fischer zu werden, dessen Worte er wiedergab. »›Du musst mit mir kommen, bei mir leben und dich von mir lieben lassen.‹«
    Tess wartete.
    »›Wenn ich nicht ins Wasser zurückkehre‹, antwortete sie, ›wird mein Lied verklingen.‹«
    Tonino stand auf und trat näher an das Mosaik heran. »Der Fischer glaubte ihr nicht«, sagte er. »›Ich kann nur Fische fangen, wenn ich dein Lied höre‹, sagte er. ›Sonst ist das Wasser leer. Komm zu mir, und wir werden Fisch im Überfluss haben, schmausen, uns lieben und fröhlich sein.‹«
    »Und was hat sie dazu gesagt?«, wollte Tess wissen.
    Er warf ihr einen Blick zu. »Sie zögerte immer noch«, sagte er leise. »›Wenn ich das Meer verlasse‹, sagte sie, ›werden auch die Fische verschwinden, und du wirst Hunger leiden.‹« Tonino legte eine Pause ein. »Schon den dritten Monat warf der Fischer sich ihr auf den Felsen zu Füßen. ›Wenn du bei mir bist‹, sagte er, ›bin ich im Wasser sicher. Mein Boot wird nicht sinken, meine Harpune wird treffen. Ohne dich ist das Meer mein Feind.‹«
    Tess sah zur Villa Sirena hinauf. Von hier aus konnte sie die Meerjungfrau nicht erkennen. Aber sie konnte nachvollziehen, dass sie vor einer schwierigen Entscheidung gestanden hatte.
    »Die Meerjungfrau konnte den Gedanken, dass der Fischer ertrinken könnte, nicht ertragen«, erklärte Tonino. »Daher legte sie Kamm und Spiegel beiseite und lebte hier oben an Land mit ihm.« Auch Tonino schaute zur Villa hoch. »Er hat sein Häuschen nach ihr benannt: Sirena . Aber sie fühlte sich gefangen. Sie war nicht frei. Ebbe und Flut kamen und gingen, es wurde Winter, und im Meer gab es keine Fische mehr. Die Meerjungfrau hatte kaum mehr die Kraft, draußen auf dem Felsen zu sitzen. Ihr Lied wurde immer leiser, bis sie ganz verstummte.«
    Seine Stimme hatte eine hypnotische Wirkung auf sie. Wenn er diese Legenden erzählte, glitt er scheinbar mühelos hinüber in eine andere Welt. »Kein Wunder, dass sie so traurig aussieht«, murmelte Te s s.
    »Am Ende begriff der Fischer, was er getan hatte. Eines Nachts, bei Vollmond, nahm er sein Floß, er legte sie darauf und fuhr sie aufs Meer hinaus. ›Du bist frei‹, rief er, und sie glitt von dem Floß und in die Wellen. Ihr Fischschwanz blitzte wie flüssiges Silber.«
    Tess sah sie beinahe vor sich. Sie betrachtete das Mosaik, dass er mit so viel Sorgfalt zusammengesetzt hatte. Ja, sie konnte sie
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