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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz
Autoren: Håkan Bravinger
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müde von der langen Reise, dachte er nachsichtig. Ihm war bewusst gewesen, dass er nach den vielen Stunden im Nachtzug mit Pouls Erschöpfung hatte rechnen müssen, aber trotzdem … als er Pouls Blick sah, der auf den Kellner gerichtet war, um möglichst schnell die Rechnung zu bekommen, dachte Andreas, dieses Gespräch berührt ihn nicht . Tatsächlich hätten sie ebenso gut über die letzten Preiserhöhungen bei Milchprodukten oder über die Straßenbahnen, die nie den Fahrplan einzuhalten schienen, reden können. Es gab zwischen ihnen nichts Lebendiges . Plötzlich war er überzeugt, dass Poul niemals mit Gunhild sprechen oder den Brief lesen würde, wenn er ihn darum bat.
    Warum? Es interessiert ihn nicht.
    Er war für Poul nur ein Grund zur Sorge, jemand, an den man möglichst wenig Energie verschwenden sollte, obwohl man dafür sorgen musste, eine funktionierende Beziehung aufrechtzuerhalten. Er begriff nicht, dass Poul sich angesichts seines Wissens in Seelenheilkunde und Psychoanalyse so wenig für alles interessierte, was sie beide betraf. Er fand es unfassbar, wie egal es Poul war, das Übel zwischen ihnen zu heilen und auf die Art ein harmonischerer Mensch zu werden.
    Schließlich kam der Kellner träge watschelnd mit der Rechnung in der Hand zu ihrem Tisch. Poul zahlte und stand auf. Als sie sich trennten, schien keiner von ihnen zu wissen, was er sagen sollte. Sie wählten die einfachste Lösung: Sie gaben sich die Hand.
    Dann nahm Poul seine Tasche und verließ das Restaurant. Andreas blieb sitzen, zündete sich eine Zigarette an und sah den Rauch zu den Figuren der Deckengemälde aufsteigen. Das Portweinglas stand noch vor ihm, ohne dass er einen Tropfen angerührt hatte. So blieb er sitzen und musterte die verschiedenen Motive, die Ornamente und abblätternden Farben, sah die Menschen vor dem Fenster vorbeigehen, betrachtete ihre Gesichter. Im nächsten Moment waren sie fort, sie liefen nur für eine Sekunde durch sein Blickfeld.
    Andreas hätte sich gewünscht, die Begegnung mit Poul ungeschehen machen zu können. So aber war sie ein weiterer Grund, sich Vorwürfe zu machen. Er begriff nicht, was ihn zu dem Glauben verleitet hatte, es könnte etwas anderes dabei herauskommen.
    All diese Gelegenheiten, dachte er, bei denen der Versuch, Einvernehmen zu erzielen, mit noch größerer Verachtung geendet hatte.
    Er ging schneller. Es gab keinen Grund, sich jetzt noch zu mäßigen. Er hatte eine Grenze überschritten; es führte kein Weg mehr zurück. Obwohl es ihm vorkam, als pfeife ihm der Wind um den Körper, brachte ihn sein schneller Fußmarsch ins Schwitzen.
    Aber was spielte das schon für eine Rolle? Abgesehen von dem heftigen Pochen in seinem Kopf, das von allein niemals aufhören würde, empfand er nichts als müde Leere.
    Sobald er ankam, würde sich alles lösen. Immer wenn ihn das Gefühl übermannte, dass ihm kein Mensch zuhörte, war es, als hätte er glühende Kohlen verschluckt. Und dann gab es nur einen Weg, um das Stechen und Brennen in seinem Körper zu stoppen, um nichts mehr empfinden zu müssen.
    Nach der Birger Jarlsgatan nahm er die Humlegårdsgatan und ging den Anstieg hinauf, ohne langsamer zu werden. Er würde später nach Hause kommen als versprochen, aber das spielte keine Rolle. Er würde es Madeleine hinterher erklären müssen. Sie dachte, dass er in der Königlichen Bibliothek saß und arbeitete. Das konnte, das musste warten. Ein noch größeres schlechtes Gewissen konnte er nicht ertragen, jetzt nicht, wichtig war einzig und allein, das Übel in seinem Körper abzustellen.
    Er öffnete die Eingangstür, ohne innezuhalten, und betrat das Treppenhaus. Schnell eilte er die drei Etagen hinauf und blieb anschließend kurz stehen, um Atem zu holen, ehe er anklopfte und Schritte hinter der Tür hörte.
    Sie grüßte ihn nicht, wich nur zur Seite, sodass er vorbei konnte.
    Hier kannte keiner seinen Namen. Hier wusste niemand von seinen inneren Gebrechen, seiner Angst und selbstzerstörerischen Veranlagung. Hier durfte er ohne Widerworte und säuerliche Bemerkungen er selbst sein. In gewisser Weise war dieser Ort dafür verantwortlich, dass er überhaupt so lange durchgehalten hatte.
    Er ging auf direktem Weg in das Zimmer und wurde allein gelassen. Er zog sich aus, machte sich nicht die Mühe, das Hemd zusammenzufalten, warf es nur über einen Stuhl. Der übliche Standspiegel befand sich in einer Zimmerecke. Er ging zu ihm hin und sah seinen nackten Körper kurz auf sich
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