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Ein unerhörtes Angebot

Ein unerhörtes Angebot

Titel: Ein unerhörtes Angebot
Autoren: MARY BRENDAN
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Mädchen gewesen. Nun lag ein ausgehungerter Ausdruck in ihren Augen, und ihr von seidig glänzendem dunklen Haar umgebenes herzförmiges Gesicht wirkte zu schmal. Aber es waren ihre Augen, die ihn fesselten, und er erkannte, dass der alte Cedric nicht nur taub, sondern obendrein halb blind sein musste, wenn er diese Augen für gelb hielt. Sie hatten die Farbe edlen Brandweins.
    Helen spürte, wie sie bei Sir Jasons stummer, eindringlicher Begutachtung rot wurde. Sie glaubte zu wissen, warum er sie so eingehend musterte. Er fragt sich, ob ich die Frechheit besessen habe, sein prachtvolles Haus in dieser Aufma chung zu besuchen. Der Gedanke brachte ihre Wangen noch stärker zum Glühen, und sie begegnete seinem Blick mit hochmütiger Feindseligkeit.
    „Darf ich eintreten?“, wiederholte Jason. „Es wäre vielleicht besser, dieses Gespräch nicht unter den neugierigen Augen der Nachbarschaft abzuhalten.“
    Helen riss sich zusammen und nickte. Sie musste mit ihm reden, und sie wusste, dass sie ihm eigentlich eine Erklärung schuldete für den ungebetenen Besuch von heute Morgen. Vor allem jedoch bekam sie die Gelegenheit, ihm zu sagen, dass Charlotte und sie nicht bereit waren, ihr Zuhause zu verlassen, wie auch immer seine geschäftlichen Abmachungen mit ihrem Bruder lauten mochten.
    Sie trat zurück und ließ ihn in das kalte, unbeleuchtete Foyer von Westlea House ein. Im Salon wies sie auf einen Sessel neben dem Kamin, in dem kein Feuer brannte, und setzte sich in den Sessel ihm gegenüber. Sir Jason Hunter nahm mit lässiger Anmut Platz.
    Nach einem Augenblick, in dem Helen kein vernünftiges Wort einfallen wollte, weil er den Blick auf so aufreizende Weise auf ihr ruhen ließ, verkündete sie: „Ich würde Ihnen eine Erfrischung anbieten, Sir, aber mein Mädchen ist zurzeit nicht im Haus.“ Das stimmte, doch selbst wenn Betty da gewesen wäre, hätte sie ihnen nur aufgewärmte Hafergrütze servieren können. Was ihm nur recht geschähe, so wie er mich behandelt hat, dachte Helen trocken.
    Jason winkte ab und lehnte sich in den rissigen Lederpolstern zurück. Unter leicht gesenkten Lidern musterte er Helen Marlowe und ihre verlockend zerbrechliche Schönheit. Es musste zehn Jahre her sein, dass er das letzte Mal mit ihr gesprochen hatte, als ihr Bruder und er noch befreundet gewesen waren. Irgendwann hatte er gehört, dass sie verheiratet war und ihren Mann im Krieg verloren hatte. Er rechnete nach, wann er ihr das letzte Mal in Gesellschaft begegnet war, und fragte sich, ob ihre Kleidung damals auch schon so ärmlich ausgesehen hatte wie jetzt.
    Helen presste ihre zitternden Hände im Schoß zusammen. Sie wusste, was er dachte, weil ihr dieselben Dinge durch den Kopf gingen – ihr Rang und die Kreise, in denen sie sich bewegten, waren inzwischen Welten voneinander entfernt. Es hatte Zeiten gegeben, da war er in ihrem Zuhause willkommen gewesen, und sie hatte man nach Thorne Park eingeladen, um mit seiner Schwester Beatrice zu spielen.
    Jene Tage schienen in ein anderes Leben zu gehören. Jetzt kamen Charlotte und sie nur noch mit Leuten ihres eigenen Standes zusammen, deren finanzielle Lage ihre Vergnügungen auf einen ruhigen Abend zu Hause beschränkte. Ausflüge ins Theater oder zu Ausstellungen waren seltene Ereignisse, da selbst die Kosten für die Fahrt dorthin ihre Mittel überstiegen.
    Von seinem glänzenden schwarzen Haar bis zu den Spitzen seiner blank polierten Lederstiefel strömte Sir Jason auf eine so nachdrückliche Art Macht und Wohlstand aus, dass Helen zu ersticken meinte. Sie hatte es gewagt, ihn ungebeten aufzusuchen, um ihm zu sagen, dass er dieses Haus nicht haben konnte. Nun erkannte sie mit schmerzhafter Klarheit, dass sie keine Chance gegen ihn hatte. Bedrückt sah sie sich in ihrem geliebten, verblichenen Salon um und versuchte sich Mut zu machen. Vielleicht würde Sir Jason befinden, dass das Haus seiner Beachtung nicht wert war. Seine angenehme Baritonstimme riss sie aus ihren Gedanken.
    „Ich muss mich für den unhöflichen Empfang entschuldigen, der Ihnen zuteil wurde, als Sie bei mir vorsprachen. Mein Butler hat Sie mit jemandem verwechselt.“
    „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das möglich sein sollte“, erwiderte Helen kühl. „Ich nannte ihm meinen Namen.“
    „Welchen Namen nannten Sie ihm?“, erkundigte Jason sich. Er beugte sich vor, die Unterarme auf den Knien, die Finger miteinander verschränkt. Fast hätte er die Hände aneinandergerieben, so kalt war es im
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