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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Autoren: Charles Chadwick
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liebevolle Art, wie er sie in diesem Augenblick anschaute, werde ich so schnell nicht vergessen: als hätte er eben jemanden wiedererkannt, den er vor sehr langer Zeit gekannt hatte. Nein, es war mehr als das. Er versuchte, ihre allererste Begegnung wiederaufleben zu lassen, es noch einmal zu erleben, dann das Verlieben,
das Werben, die wunderbare Erwartung, daß es ewig währt — zum Teil bereits wiederentdeckt, zum Teil unrettbar verschüttet. Und dabei lagen in seinem Blick auch alle die verlorenen Jahre, die verlorene Elternschaft, die verlorene Zufriedenheit, die verlorene Liebe. Ich vermute das natürlich nur, stelle es mir vor. Das sind nur Gedanken und Gefühle, die man ableiten konnte. Ich habe sie nicht selber erlebt. Nun, falls ich, auch wenn mir ein spezielles imaginatives oder emotionales Rüstzeug fehlt, damit auch nur irgendwie recht habe, dann sagt das vermutlich etwas aus über die uns allen gemeinsame Menschlichkeit. Man kann sich nie ganz sicher sein, oder überhaupt. In diesem Zweifel liegt vielleicht viel von dem uns allen gemeinsamen Kummer begründet.
    Brown hatte aufgehört zu nicken. Ihr Sohn hatte gesagt, er hole sich noch ein Bier, und ging davon. Sie erwiderte jetzt seinen Blick, als wisse sie vollkommen, was in seinem Kopf vorging. Dann wandte sie sich mir zu, und ich merkte, daß ich ebenfalls genickt hatte. Sie gab Brown ihr Glas, das noch halb voll war, und sagte: »Sei ein Engel, Johnny, und mach es noch mal voll. Bis zum Rand.«
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm, aber sie schauten einander nicht an. Plötzlich war der Zauber des Augenblicks verschwunden. Sie lachten beide sehr kurz auf. Das war früher sicher ein stehender Ausdruck zwischen ihnen gewesen, und tatsächlich sagte er: »Das weckt Erinnerungen. Jawohl, Madam, das werde ich. Mit dem größten Vergnügen. Was immer Sie sagen.«
    Während er weg war, murmelte ich zu ihr, daß dieser neue Job wohl eine ziemliche Herausforderung für ihn sei, und in diesem Augenblick kam er mit seinem Sohn schon wieder zurück.
    Er faßte mich am Ellbogen. »Was erzählen Sie da von Mühen und Plagen? Wir stören doch nicht, oder?«
    »Nur daß Sie im Transportgeschäft ziemlich herumkommen werden.«
    Er boxte mich kräftig auf den Arm. »Hab dir doch gesagt, daß er ein kleiner Witzbold ist.«
    Sie kicherte. Es war ebenso viel Nervosität wie Belustigung darin. »Ach, verstehe ...«

    (Dabei fiel mir ein, daß ich das auch einmal zu Richard gesagt hatte, der damals überhaupt nicht gelacht hatte — das und meine Witzchen übers Sesselfurzergewerbe. Jetzt überhaupt nicht mehr lustig. Witze nutzen sich, ganz im Gegensatz zum Kummer, ziemlich schnell ab. Virginia hatte so glücklich wie selten geklungen, als sie an diesem Vormittag anrief. Der Job im Gartencenter schien ein riesiger Erfolg zu sein. Es gefiel ihm sehr. Die Bücher waren das reinste Chaos gewesen, und mit seiner gewohnten Detailgenauigkeit schaffte er es wirklich, Ordnung hineinzubringen. Er hatte bereits eine Gehaltserhöhung bekommen. Und es war eine so wunderbare Umgebung, inmitten von Blumen. »Dann hat er also ein Auge auf die jungen Pflänzchen?« fragte ich. Es gab eine lange Pause, und mir fiel ein, daß sie mich vor vielen Jahren einmal zusammengestaucht hatte, weil ich Richard immer so aufzog. »Nicht schon wieder, Dad, bitte.« Ich ließ ein wenig Zeit verstreichen, bevor ich mich entschuldigte. Erst dann lachte sie. »Na gut. Ich sage es ihm, wenn du unbedingt darauf bestehst.«)
    Simon schaute sie an, dann seinen Vater. Sein Gesicht wirkte verständnislos. Entweder hatte er nicht verstanden, was ich gesagt hatte, oder er hielt es für unangemessen. Er hatte die Ausstrahlung von einem, der ständig etwas für unangenehm hielt. Einer der Inspektoren des Lebens. Er ließ uns sehr deutlich spüren, daß er unterbrochen worden war, und redete dann weiter über Arbeitslosigkeit, soziale Leistungen und was man daran ändern sollte. Allmählich bekam ich das Gefühl, daß ich ihn überhaupt nicht mochte, daß ich ihn noch weniger mögen würde, wenn ich ihm woanders begegnet wäre. Er versuchte nicht nur, seine Eltern zu beeindrucken, auch wenn er das ganz offensichtlich tat. Er war immer so. Seine Mutter schaute ihn jetzt stolz an und hörte eher ihm zu als dem, was er sagte. Brown gab ihm von Zeit zu Zeit ein Stichwort, wie um ihn am Reden zu halten. Es war ganz leicht, den Heranwachsenden in ihm zu sehen, den Jungen, den Brown überhaupt nicht gemocht hatte: fett,
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