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Ein toedlicher Plan

Titel: Ein toedlicher Plan
Autoren: Jeffrey Deaver
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Schriftstücke für einen Vertragsabschluss, der für heute Nachmittag angesetzt war, herausgesucht, geordnet und gestapelt. Als der Anwalt, dem sie zugeteilt war, gesagt hatte, sie solle eine Pause einlegen, war sie hierher geflüchtet. Sie lehnte sich nun auf ihrem bequemen roten Drehstuhl zurück, leerte ihren fünften Becher schwarzen Kaffee, saugte an dem Finger, in den sie sich mit einer Papierkante geschnitten hatte, und versuchte intensiv, das Bild von der Viehherde, die in die Stallungen getrieben und dann zu den Schlachthöfen geführt wurde, aus ihrem Bewusstsein zu verbannen.
    Das Telefon läutete.
    Müde hob Taylor ab. Eine halbe Stunde. Er hat gesagt, ich könne eine halbe Stunde Pause machen. Und davon sind gerade erst zehn Minuten vergangen. Zehn Minuten sind nie und nimmer eine halbe Stunde …
    Doch aus dem Hörer kam nicht die Stimme ihres Anwalts, sondern die der Oberaufseherin des Viehhofs. Die Supervisorin der Assistenten und Anwaltsgehilfen, eine dreißigjährige Frau mit dem umständlichen Gehabe einer Bibliothekarin und dem Feingefühl eines Bestattungsunternehmers, sagte: »Taylor, ich frage ja nur ungern, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, ich meine, wären Sie sehr enttäuscht, wenn man Sie vom SBI-Projekt abzieht?«
    »Wie bitte?«
    »Könnten Sie sich damit abfinden? Ich meine, kein SBI mehr?«
    Taylor entgegnete verwundert: »Aber die Verhandlungen sollen doch heute um vierzehn Uhr abgeschlossen werden. Ich arbeite jetzt seit drei Wochen an der Sache.«
    »Wäre es denn so schlimm, damit aufzuhören?« Die Supervisorin klang, als bereitete ihr schon die Frage physische Schmerzen.
    »Wie sieht denn die Alternative aus?«
    »Eigentlich«, das Wort kam langsam und unendlich zerdehnt heraus, »gibt es keine Alternative. Ich habe Mr. Bradshaw bereits Ersatz geschickt.«
    Taylor drehte sich mit ihrem Stuhl erst weit nach links und dann nach rechts. Die Schnittwunde fing wieder an zu bluten, und sie wickelte eine Papierserviette um ihren Finger, die mit einem fröhlichen Truthahn verziert war – ein Überbleibsel von der Cocktailparty, die vergangene Woche in der Kanzlei stattgefunden hatte. »Habe ich irgendetwas falsch gemacht?«
    »Mitchell Reece hat Sie angefordert, um ihm bei einem Projekt zu assistieren.«
    »Reece? Aber ich habe noch nie für ihn gearbeitet.«
    »Offenbar eilt Ihnen ein ganz besonderer Ruf voraus.« Die Supervisorin klang vorsichtig, als wäre es ihr neu, dass Taylor schon so etwas wie eine Reputation besaß. »Er sagte, er wolle nur Sie und keine andere.«
    »Äh … Sie erinnern sich bestimmt, dass ich nächste Woche in den Skiurlaub wollte.«
    »Darüber sollten Sie mit Mr. Reece sprechen, er wird sicher Verständnis dafür haben. Ich habe ihn aber bereits davon in Kenntnis gesetzt.«
    »Und wie hat er reagiert?«
    »Es schien ihm nicht allzu viel auszumachen.«
    »Warum sollte es auch? Er ist schließlich nicht derjenige, der Ski fahren will.« Blut drang durch die Serviette auf das grinsende Gesicht des Truthahns.
    »Melden Sie sich in einer Stunde in seinem Büro.«
    »Soll ich Mr. Bradshaw Bescheid geben?«
    »Darum habe ich mich schon gekümmert. Finden Sie sich in einer Stunde …«
    »… in Mr. Reeces Büro ein.« Taylor legte auf.
    Sie ging zwischen den mit Teppich ausgelegten Arbeitsver- schlägen hindurch zum einzigen Fenster von Halsted Street.
    Draußen wurde das Finanzviertel in das Licht des frühmorgendlichen bedeckten Himmels getaucht. Heute konnte der Anblick Taylor jedoch nicht begeistern. Für ihren Geschmack war da zu viel schmutziger alter Stein; wie Berge, die eine starke Hand abrupt zusammengeschoben und dann liegen gelassen hatte, auf dass sie verwitterten und ein immer unheimlicheres Aussehen annähmen. Im Fenster eines der gegenüberliegenden Gebäude war ein Hausmeister zu erkennen, der sich damit abmühte, einen Weihnachtsbaum aufzustellen. In der kalten Marmorhalle erschien das Grün wie ein Fremdkörper. Taylor kam es eigenartig vor, dass nicht das Grau der Fassaden, sondern die Farbe des Baums sie störte. Sie war viel zu dunkel und wirkte gegenüber normalem Grün wie getrocknetes Blut zu Rot.
    Taylor konzentrierte ihren Blick auf das Fenster vor ihr und bemerkte, dass sie ihr eigenes Spiegelbild anstarrte.
    Taylor Lockwood litt nicht eigentlich an Übergewicht, aber sie besaß auch nicht die knochige Figur eines Models. Erdverbunden, so empfand sie ihren Körper. Wenn jemand sie nach ihrer Größe fragte, antwortete sie: ein
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