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Ein Tag, zwei Leben

Ein Tag, zwei Leben

Titel: Ein Tag, zwei Leben
Autoren: Jessica Shirvington
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entdeckt?«
    Ich zuckte mit den Achseln und blies auf meinen Tee. » Sie hat eben diesen Look, Mom. Sie ist glücklich damit, wo ist das Problem?«
    Mom starrte mich an, als wäre die Antwort auf diese Frage nur allzu eindeutig. Sie würde es vorziehen, wenn ich mit anderen Leuten abhängen würde. Manchmal wünschte ich, ich könnte ihr erzählen, dass ich das auch tat. Ich starrte in meine Tasse, während ich mal wieder darüber nachdachte, dass meine Mom – wenn sie die Wahl hätte – mir wahrscheinlich eher das andere Leben wünschen würde als das hier. Aber solche Gedanken lohnten nicht.
    » Ist Dad noch bei der Arbeit?«, fragte ich.
    Mom nickte.
    Dad öffnete den Drogerieladen dienstags bis samstags bis spät am Abend. Er hatte zwar eine Pharmazeutin eingestellt, bezahlte aber nur ungern Abendzuschläge, weswegen er selten vor Mitternacht nach Hause kam. Die Drogerie wäre ein gutes Geschäft für ihn, wenn sie ihm tatsächlich gehören würde, stattdessen hatten sie einen langwierigen – und unprofitablen – Managementvertrag unterzeichnet. Selbst mit zusätzlichem Personal hatten Mom und Dad ein heftiges Arbeitspensum. Sie bekamen uns eher selten zu Gesicht und noch seltener sahen die beiden sich gegenseitig. Aber sie waren unermüdlich und entschlossen, Maddie und mich auf ein gutes College zu schicken.
    Wenigstens etwas, was ich für sie tun konnte. Zweimal zur Schule zu gehen half in Sachen Klugheit ungemein. Letztes Jahr hatte ich – sehr zu Capris Empörung – in Roxbury alle Register gezogen und vor Kurzem sogar ein Teilstipendium für die Boston University abgesahnt.
    Die Sache ist nur, dass ich gar nicht so erpicht bin auf dieses ganze College-Ding. Zweimal zur Schule zu gehen ist schon schlimm genug, zweimal College wird total nervig – und Gott weiß, dass ich es in meinem anderen Leben nicht werde vermeiden können, deshalb hatte ich gehofft, es in diesem umgehen zu können. Doch als es dann darauf ankam, konnte ich das Mom und Dad einfach nicht antun. Oder den Zorn ertragen, der darauf folgen würde.
    Manchmal habe ich es satt, es in meinen beiden Leben allen recht zu machen. Und bin deshalb frustriert. Und erschöpft. Und … nun ja, eine ganze Menge Dinge, die ich mich bemühe nicht zuzugeben. Das hätte keinen Sinn.
    » Wenn du hungrig bist – im Kühlschrank ist noch Kuchen.« Ich schüttelte den Kopf. Wir arbeiteten uns schon eine Woche lang durch den riesigen Schokoladenkuchen, den Mom zu meinem achtzehnten Geburtstag gebacken beziehungsweise massakriert hatte.
    » Ich habe vorhin schon etwas davon gegessen«, murmelte ich und sah weg.
    » Ich hätte Dr. Meadows benachrichtigen können«, sagte sie, noch immer gekränkt, dass ich sie nicht angerufen hatte.
    » Mom, mach dir keine Sorgen. Jetzt ist doch alles okay.« Ich streckte ihr meinen Arm hin und schenkte ihr mein Es-geht-mir-einfach-gut-Lächeln. » Handgelenk gebrochen, Arm im Gips. Jemand anderes hätte auch nichts anderes tun können. In ein paar Wochen ist alles wieder beim Alten.«
    Und da dämmerte es mir.
    » Shit!«, bellte ich und spuckte dabei Tee in meine gesunde Hand. Ich war so aus dem Konzept geraten durch diesen Störfall, als ich den Obstladen-Typen gesehen hatte, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, es könnte ein echtes Problem geben.
    » Sabine!«, fuhr mich Mom an.
    Das hatten meine beiden Moms gemeinsam: die Regel, dass man nicht fluchen durfte. Aber in dem Moment war mir das egal. Mom konnte von Glück sagen, dass ich das F-Wort nicht gesagt hatte.
    » Tut mir leid, Mom. Ich … mir ist gerade nur eingefallen, dass mein Abschlussaufsatz in Geschichte am Montag fällig ist und ich ihn noch nicht fertig habe.« Ich richtete mich auf, um die Lüge zu untermauern. Die Tage, an denen ich mich schuldig fühlte, wenn ich meine Eltern anlog, gehörten längst der Vergangenheit an.
    Mom sah mich skeptisch an. » Seit wann machst du freitagabends Hausaufgaben?« Sie deutete auf meinen Arm. » Außerdem bin ich mir sicher, dass dein Lehrer Nachsicht üben wird.«
    » Nein, schon gut. Ich bin ja fast fertig damit.« Ich wischte die vom Tee nasse Hand am Spüllappen ab und schnappte mir meine Tasse. » Ich mache ihn gleich fertig, dann muss ich mir nicht das ganze Wochenende darüber Gedanken machen. Ich taumelte mehr, als dass ich ging, durch die Küche und die Treppe hinauf, meine Gedanken überschlugen sich bei dem Versuch herauszufinden, wie genau ich damit jetzt umgehen sollte.
    Gebrochener Arm.
    Zwei
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