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Ein Tag, zwei Leben

Ein Tag, zwei Leben

Titel: Ein Tag, zwei Leben
Autoren: Jessica Shirvington
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sich gerade von der untersten Stufe in meine Arme stürzen – eine ihrer typischen Aktionen –, als sie den Gips an meinem Handgelenk entdeckte.
    » Was ist dir denn passiert?«, rief sie und bremste abrupt.
    Für Maddie war ich unerschütterlich. Wahrscheinlich weil ich meistens, wenn ich krank war, so tat, als wäre ich es gar nicht, da ich immer Angst hatte, unabsichtlich eine Überdosis abzukriegen, wenn ich in beiden Welten Medikamente einnahm. Das war nicht einfach gewesen, als ich Mandelentzündung hatte, aber ich hätte mir die Mandeln ja wohl kaum zweimal entfernen lassen können. Und gebrochen hatte ich mir vorher ganz bestimmt nie etwas.
    » Schon okay, Mads. Ich habe mir nur das Handgelenk gebrochen, als ich hingefallen bin.«
    Sie sah mich bestürzt an, ihre Mundwinkel bebten. Ein sechsjähriges Mädchen, das einen anbetete, so betrübt zu sehen, bereitete mir an diesem Tag die größten Schmerzen.
    Ich lächelte albern, extra für sie. » Hey, Süße, sieh dir das mal an!« Ich zog meinen Arm aus der Schlinge und zeigte ihr den Gips und Capris Fledermaus-Dings. Ich drehte meinen Arm, um ihr eine noch unberührte weiße Fläche zu zeigen. » Ich habe die ganze Fläche hier für dich reserviert. Kannst du darauf morgen etwas für mich zeichnen?«
    Ihr Blick hellte sich auf. Sie griff nach ihrem langen rotblonden Zopf, der über ihre Schulter hing, und schwankte eine wenig. » Echt? Ich? Das würde dir nichts ausmachen?«
    » Hey, du bist die beste Hasen-Zeichnerin, die ich kenne. Glaubst du, du kannst einen von diesen hüpfenden Hasen zeichnen, wie du mir neulich einen gezeigt hast?«
    Sie nickte energisch. Ich merkte ihr an, wie sie sich das bereits ausmalte.
    » Cool. Ich sorge dafür, dass niemand anderes etwas auf diesen Bereich malt, und morgen Nachmittag gehört er ganz dir. Aber jetzt gehst du besser zurück ins Bett, bevor Mom dich erwischt!« Zwar sah ich aus den Augenwinkeln Mom bereits im Türrahmen der Küche stehen, aber die Erfahrung hatte uns alle gelehrt, dass es einfacher war, wenn ich Maddie dazu brachte, sich zurück ins Bett zu schleichen. Ich rubbelte ihr über den Kopf, und sie schlang ihre Arme um meine Taille, wobei sie sorgsam meine schlimme Seite schonte.
    » Ich hab dich lieb, Binie.« Ihre Umarmung zerrte an meinem Inneren. Ich drückte sie ebenfalls. Schlimm waren die Tage ohne sie.
    » Bis morgen«, sagte ich leichthin.
    Wie oft hatte ich diese Worte schon gesagt. Und jedes Mal insgeheim für mich selbst korrigiert: Bis übermorgen.
    Mom stand mit dem Rücken zu mir, als ich die Küche betrat. » Tee?«
    » Ja«, sagte ich seufzend und ließ mich auf einen der fleckigen Holzstühle an unserem ramponierten Küchentisch fallen. Unsere alles andere als perfekte Küche passte hervorragend zu unserem Haus, das allmählich aus den Fugen geriet.
    Mom füllte Wasser aus einer riesigen Plastikflasche in den Wasserkocher. Es war die, die wir schon seit zwei Wochen in der Küche benutzten. Das Problem bestand nicht darin, dass das Abflussrohr verstopft war; das Problem bestand darin, dass Dad versucht hatte, es zu reparieren. Großer Fehler.
    Mom hantierte mit den Tassen herum, zog ihre Lieblingstasse mit der Rose heraus, danach meine bevorzugte Daffy-Duck-Tasse.
    » Was ist passiert?«, fragte sie, wobei ihre Aufmerksamkeit weiterhin fast ausschließlich ihrer Tätigkeit galt. Selbst zu dieser späten Stunde war es keine Überraschung, sie in ihrer Arbeitstracht zu sehen, das ergrauende Haar zu einem festen Knoten zusammengefasst, ihre heftig gestärkte weiße Bluse an der schlanken Taille in den Hosenbund gesteckt. Für Mom und Dad war das Erscheinungsbild alles. Vor allem Mom brauchte es, dass ihre Familie reibungslos funktionierte.
    » U-Bahn-Treppe«, antwortete ich.
    Mit durchgedrückten Schultern machte sie den Tee fertig und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. » Du hättest anrufen sollen.«
    Ich rückte meine Schlinge zurecht und war froh, dass ich sie nur ein paar Tage zu tragen brauchte – der Gips, in dem mein Unterarm steckte, war schon schlimm genug. » Du hättest nur darauf bestanden zu kommen, um zu helfen.« Und um das Kommando zu übernehmen, dachte ich. » Es hätte doch nichts gebracht, Maddie aus dem Bett zu zerren, nur um in der Notaufnahme herumzusitzen. Außerdem war Capri bei mir.«
    Mom schürzte die Lippen, während sie mir die Tasse reichte. » Welch ein Trost. Sie hat wohl nicht inzwischen die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten einer Haarbürste
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