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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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arbeiten. Kurzer Sprint, hinwerfen, die Sohlen von jemandem, entsetzensweite Augen, aus dem Unkraut erhebt sich kurz ein Kopf und schießt eine Salve ab.
    Vom Graben aus hat man keine Sicht. Wir müssen weg von hier, sie zerquetschen uns, knallen uns ab wie die Spatzen.
    Wir versuchen, noch ein Stück weiter an die Kreuzung heranzukommen. Nein, sie sehen uns doch – gezieltes Feuer. Am Wasserturm sind wir mitten in ihrem Visier. Die Geschosse gehen vielleicht zwanzig Meter entfernt von uns nieder, nicht weiter. Nur der Damm rettet uns. Wir werfen uns dahinter und rühren uns nicht mehr. Den Kopf nicht heben. Unter solch einem Feuer war ich noch nie. Ich versuche, den Kopf mit den Armen zu schützen, spüre dennoch geradezu körperlich, wie viel weicher menschliches Fleisch als Eisen ist. Es schlägt einfach durch. Auch am Kopf. Ich bekomme Angst.
    Wir hören Schreie. Ein Verwundeter. Zwei tragen einen Dritten. Noch eine Salve. Erde im Mund. Die Luft gespickt von Metall. Ringsum Schmatzen und Staubfontänen. Ich springe auf und renne zwischen den Detonationen hindurch. Es ist Terek. Beindurchschuss. Ein zwei Münzen breites Loch. Die Abschnürbinde ist angelegt, doch das Blut sprudelt in starken, gleichmäßigen Stößen.
    «Kannst du einen Verband anlegen?», fragt Artur oder Wacha.
    «Kann ich! Her mit dem Verband!»
    Unter dem Beschuss ist es schwer. Hier ist kein Damm mehr, wir liegen auf freiem Feld. Wieder deckt man uns ein. Ich weiß nicht, was ich schützen soll: den Fotoapparat, meinen Kopf oder Terek. Irgendwie bekomme ich den Verband angelegt, wickle auch Gras mit herum. Das Bein ist gebrochen, offensichtlich ein Knochendurchschuss.
    «Er muss rausgetragen werden!», ruft wieder Artur oder Wacha.
    «Lad ihn mir auf! Leg ihn mir auf den Rücken!»
    Es geht nicht. Jetzt wird es richtig heftig. Grad-Geschosse oder ein Kassetten-Granatwerfer, oder sie schießen aus zehn Rohren gleichzeitig. Alle zwanzig Sekunden dröhnt es, einer nach dem anderen. Die Erde kocht. Erdschollen fliegen fünfzig Meter in die Luft. Der Planet wird aufgeschlitzt. Leere im Inneren. Die Zeit verschwindet. Aus und vorbei, Schluss … Verschissen.
    Als es still ist, heben wir die Köpfe. Alle sind unverletzt. Halb robbend, ziehen wir Terek an den Armen. Er ist schwer. Versucht uns mit dem gesunden Bein zu unterstützen. Dann schleppen wir ihn stückweise fünf bis sieben Meter, mehr ist zwischen den Detonationen nicht zu schaffen. Aber das Feuer ist nicht mehr so stark.
    Der Motorschlitten ist in der Nähe – Tocha, der Mordskerl, hat es hierher geschafft!
    «Tocha! Tocha! Fahrer! Schlittenfahrer, wo bist du?!»
    Unter der Raupe hat er sich versteckt. Der Motorschlitten heult auf, wendet und fährt rückwärts auf uns zu, auf den Erdhügeln hüpfend. Als es noch zwei Meter bis zu Terek sind, brüllen wir aus Leibeskräften. Ich springe auf und stemme mich erst mit den Armen, dann mit der Schulter gegen das Heck. Terek liegt vor mir, und ich finde keinen Haltepunkt. Als hätte ich den Schlitten sonst aufhalten können … Das Fahrzeug schiebt mich zurück, ich drohe unter die Raupe zu geraten.
    Halt! Halt, verflucht! Halt, verdammte Scheiße!!!
    Tocha ist dann doch ein guter Fahrer. Er hat ein tolles Gespür für seinen Wagen. Die Raupe kommt achtzig Zentimeter vor Tereks Kopf zum Stehen. Ich weiß nicht, was er selbst mitgemacht hat – ich schaue ihn nicht an.
    In der Fallschirmspringerluke befinden sich Munitionskisten – wie immer wild übereinandergestapelt, kein Zentimeter frei. Nichts als scharfe Kanten. Ich werfe ein paar davon raus, wir heben Terek mit einem Ruck hoch und legen ihn in die Nische. Der Unterschenkel des durchschossenen Beins bricht, er stöhnt. Wieder eine Serie von Detonationen. Wenn sie jetzt nur nicht das Feuer auf uns richten. Wir sind auf dem Präsentierteller, hinlegen geht nicht. Wenn wir jetzt nur wegkommen! Sie schießen uns ab! Wir schaffen es nicht. Ich werfe mich mit dem Wanst auf die Panzerung, mache mich ganz flach: Los, los, fahr!
    Die Sanitäter stehen einen halben Kilometer entfernt. Wir rasen in gerader Linie über das Feld, der Schlitten springt auf den Erdhügeln in die Luft. Die Detonationen erreichen uns nicht. Ein Satz auf die Straße, Kurve nach links, und Staub hinter uns.
    Verflucht, dieser Krieg. Das ist mein letzter. Ja, schön wär’s.
    Wir jagen an der Infanterie vorbei. Untertellergroße Augen starren aus dem Unkraut. Ich setze mich auf, winke ihnen zu, der Arm bis zum
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