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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Artem! Und du empfange mich mit der Panzerbüchse …
    Da haben sich ein paar Dumme gefunden.
    ***
    Das tschetschenische Bataillon «Wostok» war schon vor drei Monaten in Zchinwali. Dieses Mal ist es am neunten August gekommen. Es hat den beherrschenden Gipfel «Pauk» eingenommen und die georgischen Sondereinheiten von dort vertrieben. Jetzt machen sie sich wohl daran, die georgischen Dörfer entlang der Transkam zu säubern und die Reste der dort verschanzten georgischen Armee zu vertreiben.
    Die Stadt ist gerammelt voll von russischer Technik, sie verteilt sich jetzt auf die Positionen. Aber der Großteil ist immer noch auf dem Weg.
    Sulim Jamadajew steht neben einem metallicfarbenen Minibus des Modells Barguzin mit getönten Scheiben. Ziemlich groß, etwa fünfunddreißig Jahre, das Gesicht von Pulvernarben übersät, wie nach einer Granatenexplosion in unmittelbarer Nähe. Ruhig, nicht auffahrend, wenngleich leicht posierend. An der Brust der Heldenorden.
    In einer nicht sehr großen Kolonne setzen wir uns in Bewegung. Fallschirmjäger aus Pskow, 693 . Regiment, selbstfahrende Artillerie, Panzer.
    Der getötete Georgier ist noch immer nicht verbrannt – die Leiche liegt weiter an der Kurve. Die Bauchmuskeln sind durchgebrannt, und aus der Leiste ragt ein Knäuel verschmorter gelber Gedärme hervor. Der Geruch aus dem Dickicht ist ganz und gar übelkeiterregend geworden.
    Die Luftwaffe bearbeitet derweil das Vorgebirge in Georgien. Die Jagdbomber werden sofort von Raketen begrüßt – zwei, drei, vier Stück. Das ist ein ernstzunehmender Angriff, Rauchspuren schwärzen den halben Himmel. Bestimmt wieder die ukrainischen «Buki». Sie verfehlen ihr Ziel. Doch von nun an steigen die Raketen ununterbrochen auf.
    «Ja! Abgeschossen!» Auf dem neben uns fahrenden Motorschlitten springen sie auf, reißen die Köpfe hoch, starren in den Himmel. Ich gucke auch. Gegen die Sonne ist kein bisschen zu erkennen.
    «Was ist dort?»
    «Abgeschossen! Am Schwanz zerbrochen! Die Piloten haben sich rauskatapultiert – beide …»
    In der Richtung, aus der die Raketen kamen, steigt eine schmutzig weiße Rauchsäule auf. Abgestürzt … Ich erwarte, dass wir uns sofort zu den Piloten aufmachen, doch das ist nur im amerikanischen Kino so – Rettungsaktionen und «Schwarze Falken». In der russischen Wirklichkeit: abgestürzt, na und?
    Unterwegs verbrannte und zerstörte Pkws. Viele davon. Einer platt gewalzt von einem Panzer. Dann kommen ausgebrannte Schützenpanzer. Es sind unsere. Die besagten, von der 58 . Armee, die in einen Hinterhalt geraten waren. Ich zähle insgesamt vier. Die übrigen sind offensichtlich an der Abzweigung nach links gefahren und erst dort in Flammen aufgegangen.
    Von Zeit zu Zeit geraten wir in die Reichweite von Leichengeruch. Wenn wir in so einem Dunstkreis stehen bleiben, füllt eine klebrige Substanz Mund, Nase und Lungen.
    Im Gebüsch noch zwei Leichen. Nicht von uns.
    Das «Wostok» fährt auf drei Schützenpanzern, drei Motorschlitten und zwei Kamaz-Lastern. Die Motorschlitten und ihre Fahrer wurden von der russischen Armee gestellt. Die Schützenpanzer sind Beutestücke – die Georgier haben sie während der Säuberungen zurückgelassen. Auf der Panzerung steht mit weißer Farbe: «Tschetschenen», «Jamadajew-Leute», «Wostok».
    Gemeinsam mit Tschetschenen auf einem Panzer zu fahren ist gelinde gesagt ungewöhnlich. Ich versuche, mich aus den Gesprächen herauszuhalten. Vom ersten Eindruck her sind es die reinsten Räubertypen: bärtige Gesichter, grüne Stirnbinden. Sie rufen: «Allahu akbar!»
    Die Alanen begrüßen die Tschetschenen als Befreier. Ein alter Mann hat eine Fünfzig-Liter-Flasche Wein angeschleppt. Die russische Armee, ganz im Gegenteil, schaut unfreundlich. Antwortet nicht auf Zurufe. Im besten Falle blickt sie uns gleichgültig nach, öfter aber feindselig. Ganz selten, dass mal einer der Rekruten lächelt.
    Neben mir sitzen: Wacha mit Bart und grüner islamischer Mütze; Artur mit Goldkronen anstelle der Vorderzähne; Ibrahim, ein finsterer Scharfschütze mit dem Gesicht eines Banditen; und Chitryj, ein drolliger junger Kerl. Alle ganz jung, keiner über dreißig, alle sind 2003 ins Bataillon gekommen und haben noch keinen Krieg erlebt. Mit Chitryj werde ich besonders rasch warm.
    Es gibt aber auch welche, die schon im Ersten Tschetschenienkrieg gekämpft haben. Mit denen rede ich nicht.
    Den Namen eines anderen Burschen kann ich beim besten Willen nicht verstehen.
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