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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Kumyk von Nationalität, spricht er nur Russisch, aber das Dröhnen des Motors übertönt alles.
    «Hör mal, hast du den Hadschi Murat überhaupt gelesen?», fragt er. «Genauso heiße ich. Nur Gadschi.»
    Da hast du die Kinder der Berge. Gleich wird er dich nach dem Dualismus des Wolkonskij fragen. Den Hadschi Murat habe ich nicht gelesen.
    Zwei Wagen überholen uns. Auch darauf bärtige Männer mit grünen Binden. Die Tschetschenen grüßen einander unterkühlt. Die Beziehungen sind sichtlich angespannt.
    «Wer sind die?», frage ich Wacha.
    «Kadyrow-Leute. Das Bataillon ‹Zapad›. Sind auch hier …»
    Mehr war vom «Zapad» nicht die Rede. Später sagte einer von Jamadajews Vertretern, dass die Kadyrow-Leute nicht nach Georgien gegangen seien: Sie hätten auf alles gespuckt und seien mit den Worten «Das ist nicht unser Krieg» wieder abgehauen.
    Der Motorschlitten will nicht geradeaus fahren, ruckelt immer wieder. Der Fahrer fummelt ständig am Motor. Schließlich geht er endgültig kaputt. Und wir sind gerade mal drei Kilometer weit gekommen.
    Ich steige in einen anderen um. Den Fahrer lassen wir mit dem Fahrzeug zurück. Er ist nicht der Einzige. Die Kolonne fährt weiter, wie Schlammfetzen von der Raupenkette fliegt versagendes Material von ihr ab und bleibt am Straßenrand liegen. Der nächste Panzer ist nur dreihundert Meter entfernt. Ganz in der Nähe eines weiteren ausgebrannten Schützenpanzers.
    Bei diesem Motorschlitten ist der Antrieb in Ordnung, dafür gibt es Probleme mit den Bremsen – sie blockieren sofort. Wir werden auf der Panzerung herumgeschleudert wie Socken in der Waschmaschine. Dafür ist unser Fahrer ein toller Kerl – Anton Tocha.
    «Dein eigenes Fahrzeug oder von der Armee?»
    «Meins.»
    «Wieso dann in so einem Zustand?», frage ich geradeheraus, weil ich sehe, dass er den Wagen liebt.
    «Aaah», winkt Tocha ab. Die technischen Mängel kompensiert er durch seine Fahrkünste. Tocha ist Zeitsoldat, aber auch erst etwa zwanzig Jahre alt. Anderthalb Jahre hat er schon gedient, bleiben noch weitere anderthalb.
    «Diesel gibt’s auch nicht», brummelt er. «Und die Tanks schalten nicht immer um.»
    Wir versuchen, die vorbeifahrenden Tankwagen anzuhalten, aber sie hören nicht – für die Abgabe von Treibstoff ist ein Befehl nötig.
    Hetagurowo, ein großes ossetisches Dorf, das letzte vor der georgischen Enklave, erreichen wir ohne Probleme. Das Dorf ist aufgegeben, alle Häuser sind zugesperrt, die Bewohner über alle Berge. Erst war es von den Georgiern aus Minenwerfern beschossen worden, nach den Georgiern beharkten es unsere Leute mit der Grad. Offensichtlich ging alles auf die Ortsränder, denn man sieht keine Zerstörungen, die Hauptstraße ist absolut unversehrt. Nur leer. Und die Kirche steht noch.
    Wir durchstöbern die Höfe, suchen nach Brunnen. Niemand betritt die Häuser. Einen Brunnen finden wir ein Stück weiter. In Eile nehme ich Wasser auf, die Kolonne setzt sich schon in Bewegung. Es werden gerade mal siebenhundert Gramm. Für jeden nur ein Schluck.
    Als wir schon fast abfahren, taucht die Aufklärung auf – vom Ende der Kolonne. Rechtzeitig. Was immer hier jemand hätte in die Luft jagen wollen, sie hätten es längst in die Luft gejagt.
    An der Kolonne auf und ab fährt ein Offizier auf einem gepanzerten Truppentransporter, auf der Suche nach den Artilleristen.
    «Männer, wo sind die Selbstfahrlafetten?»
    «Weiß der Teufel. Irgendwo waren sie.»
    «Mist, hab doch gesagt, das ist nicht unsere Kolonne!»
    Mit einem Wort, alles so wie immer. Keine Funkverbindung, keine Geländeorientierung, kein Verständnis der Lage und der Aufgaben. Hetagurowo – wo liegt das überhaupt? Ist der Gegner hier oder nicht? Sind unsere Leute hier oder nicht? Ja, weiß der Teufel, Genosse Fähnrich.
    Hinter dem Dorf aufgegebene Posten der Friedenstruppen. Offene Schützengräben, ordentliche Zelte, gehisste Flaggen, aber keine Menschenseele. Zwei Hubschrauber geben Geleitschutz und beschießen die Heuhaufen am Wegrand. Für alle Fälle offenbar. Das beruhigt ein bisschen. Obwohl eine dauerhafte Luftunterstützung nach wie vor fehlt.
    Furchtbarer Staub. Die graue Substanz sträubt die Haare wie im Raureif. Zwischen den Zähnen knirscht es. Ich ziehe die Kapuze über und lasse den Mückenschutz herunter. Das hilft ein bisschen.
    Wir kommen nur mühsam voran. Zehn Minuten fahren, eine halbe Stunde Stillstand. An einem kaputten Bewässerungsgraben können wir endlich einmal
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