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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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will Zhorik Geld geben – nimm, schließlich musst du tanken. Er nimmt es nicht. Ist aber hin- und hergerissen, sieht aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Ich lege das Geld auf die Bank und gehe. Wenn ich niemanden finde, komme ich zurück, verspreche ich.
    Bei den Panzern ein Zug Volkssturm. Es sind nicht zwei Panzer, sondern drei. Einen hat der Sekretär des Sicherheitsrats von Südossetien, Anatolij Barankewitsch, persönlich abgeschossen. Von ihm ist nicht mehr geblieben als die Raupenkette, ein Stück Stahlplatte mit zwei Walzen, und Bodentrichter. Der von der Explosion abgesprengte Turm hat das Vordach des Hauses aus zwanzig Meter Höhe durchschlagen. Der Rest ist in kleinen Fetzen in einem Umkreis von zweihundertfünfzig Metern niedergegangen. Die beiden anderen sind von der Explosion des ersten Panzers detoniert.
    «Ej, Arkan, dort ist der georgische Panzerfahrer», zeigt man mir mit den Füßen. «Der dient jetzt als Hundefutter. Willst du fotografieren?»
    Leichenschänder habe ich nie gemocht. Über den Tod macht man keine Witze. Ich habe das alles nicht miterlebt. Habe ich das Recht? Am Ende entschließe ich mich doch zu den Aufnahmen. Schließlich bin ich genau deshalb gekommen. Moralisieren kann man in Moskau. Ich mache ein paar Fotos. Im Blitzlicht erkennt man noch einen menschlichen Brustkorb ohne Körper. Rote, verschmorte Haut straff über den Rippen.
    Weiter in die Stadt hinein soll ich mich nicht wagen – eingenommen sei sie schon, aber die endgültige Säuberung stehe noch aus. Über unseren Köpfen rascheln wieder Geschosse, gehen am Stadtrand nieder. Die Alanen bieten an, bei ihnen im Keller zu übernachten. Vermutlich die beste Lösung. Aber erst muss ich noch das Tor mit dem Emblem der Friedenstruppen hundert Meter weiter überprüfen.
    Hinter der Tür sind schon Leute. Ein halber Zug Volkssturm.
    «Jungs, wo sind die Journalisten, wisst ihr das nicht?»
    «Liefen noch in der Stadt rum …»
    «Und das Pressezentrum, der Stab oder wenigstens irgendein Kommando?»
    «Dort, das erleuchtete Haus. Alles dort.»
    Am Eingang gut zehn Offiziere. Ich stoße sofort auf Wladimir Iwanow, den Pressesekretär der Friedenstruppen. Er ist zu Tode erschöpft. Er trägt meinen Namen in sein Heft ein.
    «Woher?»
    «Von der
Nowaja Gazeta

    «Oh, die kennen wir. Wieder die Armee mit Scheiße übergießen, was? Was wirst du schreiben?»
    «Keine Ahnung. Ich werde schreiben, was ich sehe.»
    «Na egal … Wegjagen werde ich dich nicht. Zieh los.»
    Man führt mich in die Kantine. Gibt mir einen Teller Weizengrütze, Fleisch und ein Ei. Tee gibt es nicht. Ich hätte in Wladikawkaz eine Kiste Mineralwasser kaufen sollen. Aber wer konnte das wissen.
    Ich setze mich zu einem Major an den Tisch, der ebenfalls völlig am Ende ist. Er erzählt, wie sie zwei Tage lang beschossen wurden.
    «Viele Gefallene?»
    «Ja.»
    «Wie viele?»
    Der Major windet sich: «Das Bataillon existiert nicht mehr …»
    «Also wie viele? Dutzende? Hunderte?»
    «Dutzende. Zwei Schützenpanzer standen auf der Straße. Sie hatten den Befehl, nicht das Feuer zu eröffnen. Sie verbrannten. Dort waren fünfundzwanzig Mann. Und dann noch welche …»
    Offiziell spricht man von achtzehn Gefallenen. Spätere Angaben gehen auf elf runter.
    Den Schlafplatz richte ich mir auf dem Kantinenboden ein. Es ist kühl, aber der Raum wirkt stabil – Betondecke über dem Kopf, feste Wände. Ich breite meine Matratze in einer Ecke aus, lege mich hin, lockere für die Nacht nur die Schnürsenkel. Meine Flanke versuche ich mit einem Tisch zu schützen – er ist stabil, mit Metallbeinen. Sorgen macht mir das Fenster – bei einer Explosion können Glassplitter fliegen, aber dann sehe ich genauer hin und stelle fest, dass schon längst keine Scheiben mehr darin sind.
    ***
    Nachts nimmt ein Scharfschütze einen Soldaten auf dem Abort ins Visier. Mit dem einzigen Erfolg, dass der Soldat sich einmal richtig erleichtert.
    ***
    Schon am frühen Morgen fährt Wladimir eine Gruppe Journalisten zum Filmen durch Zchinwali. Getötete friedliche Zivilisten, die Zerstörung der Stadt, das Krankenhaus mit Verwundeten, Vergabe von Wasser durch die russische Armee. Unsere Antwort auf Chamberlain, kurz gesagt.
    Bei Tageslicht sieht man, dass die Stadt nicht so stark zerstört ist, wie es ursprünglich schien. Kein Vergleich mit Grozny. Aber abgekriegt hat mehr oder weniger jedes Gebäude etwas. Die Straßen sind übersät von Eisenteilen, Ästen,
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