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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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zusammengebrochene Technik am Randstreifen. Und die Besatzung auf dem Asphalt.
    Zhorik ist fünfzig. Die MP auf den Knien, finsterer Gesichtsausdruck, der Wagen voller Gerümpel. Die ganze Fahrt über hat er vielleicht zehn Worte gesagt. Er fährt so schnell er kann, um es vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen. Kaum zu glauben, dass er durch diesen Staub überhaupt etwas sieht. Kamikadse. Ich mag solche Kerle.
    Im Laderaum ein Fernseher, in eine Decke gewickelt.
    «Wozu brauchst du den Fernseher?»
    «Wo soll ich sonst hin mit ihm?»
    All meine Habe am Leibe ich trage.
    Zwei Typen mit Maschinengewehr treten vor uns auf die Straße und halten uns an. Irgendwie zu gut ausgerüstet für Freiwillige – die laufen immer öfter in gewöhnlicher Tarnkleidung oder Gebirgsjacken herum, die hier haben schusssichere Westen, Helme, Munitionstaschen, Plastikflaschen.
    Ich schaue Zhorik an.
    «Alles in Ordnung. Die sind von uns.»
    Junge Kerle, um die fünfundzwanzig. Gut drauf. Sie haben in der Stadt gekämpft, sind kurz nach Hause gefahren, jetzt zurückgekommen in die vorderste Linie. Siegesstimmung, gerade erst haben sie die Stadt wieder unter Kontrolle gebracht. Auf dem Handy zeigen sie uns eine Aufnahme von georgischen Gefangenen – zehn bis fünfzehn Mann in einem Keller, wegen des Staubs konnte ich nicht viel erkennen. Aber sie erzählen, dass es mehr von ihnen gibt.
    Schon an der Stadteinfahrt ein Obelisk am Randstreifen. Im letzten Krieg haben die Georgier hier einen Bus mit Kindern beschossen. Jedes Jahr wird an dieser Stelle eine Totenmesse abgehalten. Solche Sachen.
    ***
    Zchinwali liegt wie ein dunkler, toter Fleck in einer Senke zwischen den Bergen. Schon von weitem erkennt man, wie stark es zerstört ist. Luftwaffe, Artillerie, die Grad-Waffen haben ganze Arbeit geleistet. Gestern soll noch alles gebrannt haben. An manchen Stellen schwelt es bis jetzt.
    Immer wieder hämmern die Haubitzen, werden Scharfschützen aktiv. Die Haubitzen dürften von uns sein, sie beackern die umliegenden Hügel. Die Scharfschützen eher nicht – die schießen von den Hügeln aus auf die Stadt.
    Ich bitte Zhorik, den Stab der Friedenstruppen zu suchen. Er erklärt sich bereit, wenn auch ungern – offensichtlich kann er sich nur schwer dazu durchringen, uns nachts durch die zerstörte Stadt zu kutschieren. Zu leicht wird man hier beschossen; wer in den Kellern sitzt, weiß man nicht.
    Kaum haben wir die lädierten Panzer erreicht, setzt erneut die Artillerie ein. Die Geschosse pfeifen über unsere Köpfe hinweg und schlagen etwa anderthalb Kilometer weiter ein. Ein intensiver Schusswechsel beginnt.
    «Verflucht, weg hier.»
    Wir springen in den Sanitätswagen und verdrücken uns … in die Nachbarstraße. Zu ihm nach Hause.
    Das Haus ist mehr oder weniger unversehrt. Zwar ohne Fenster und Türen und von Splittern gezeichnet, aber es steht noch. Zhorik wohnt allerdings nicht dort, er übernachtet bei einem Nachbarn auf der anderen Straßenseite – der hat einen Keller.
    Dem Nachbarn ist nur der Keller geblieben. Zwei Raketeneinschläge – eine flog in den Hof, die andere zielgenau ins Haus. Auf dem Hof ein ausgebrannter Lada  110 , im Haus schwelt es noch immer – die Glut, die von der Zimmerdecke fällt, krempelt die Nüstern auf, wie in einer guten Sauna, man muss sich ducken. Im Licht eines Streichholzes steigen wir die Treppe hinunter.
    Der Keller ist eher eine unterirdische Speisekammer. Eng und klein. Alles vollgestellt mit Kompottgläsern – nach hiesigen Maßstäben ein Reichtum. Sonst nichts; kein Wasser, kein Licht, keine weiteren Lebensmittel. Die Menschen ernähren sich ausschließlich von der humanitären Hilfe, die von Freiwilligen gebracht wird – jeder, der nach Zchinwali fährt, lädt sein Auto voll, auch die russische Armee.
    Am schlimmsten ist der Wassermangel. Die Rohrleitung ist schon zwischen den Mauern zerschossen, dort plätschert ein kräftiger Wasserfall heraus. Kaltes Wasser, schmackhaftes … Man will endlich trinken.
    Zwischen den Gläsern ein Holzgestell mit Matratze für eine Person, Tischchen und Kerze.
    «Guten Abend», grüße ich.
    «Was heißt hier gut? Das haben sie geschafft, die Schweinehunde. Die ganze Stadt in Trümmern.»
    Der Hausherr – ein Mann von sechzig Jahren. Intelligent. Anders als die Jugend spricht er ungezwungen und fehlerfrei Russisch. Und ohne Mutterflüche.
    Man bietet mir an zu bleiben, aber ich will lieber auf die Suche nach den Friedenstruppen gehen. Ich
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