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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Orhan Dschemal von
Russkij Newsweek
und ein Kamerateam von
Ren TV
unter Leitung von Andrej Kuz’minov. Bald darauf ziehen auch sie ab. Völlig unnötig sind sie in Zemo-Nikosi eingedrungen; wie sich herausstellt, hat niemand Weisung erteilt, die georgischen Dörfer zu säubern. Sie wollten nach Gori. Haben sich ganz einfach verirrt. Deshalb sind sie auch in Marschkolonne dort reingegangen. Mitten im Dorf wurde die Kolonne in zwei Hälften zerschnitten – mit Panzerabwehrraketen schossen sie zwei Panzer ab, einen Schützenpanzer und einen Ural. Der Hauptteil blieb im Dorf, ein weiterer Teil zog auf einer anderen Straße weiter und blieb dort. Das Bataillon «Wostok» kam bis zu den Panzern, weiter nicht, wegen der Selbstfahrlafetten. Hinter den Panzern saß ein georgischer Richtkanonier. Als er getötet war, hörte das Feuer sofort auf.
    Die Artillerie bearbeitet Zemo-Nikosi dann doch nicht. Wir ziehen uns einen halben Kilometer zurück und schlagen ein Lager am Graben auf.
    Ergebnis des Kampfes: neun Tote und acht Verwundete. Davon zwei Tschetschenen – Terek und Ibrahim, beide an den Beinen – und sechs Soldaten.
    Zwei in Zeltplane gewickelte Leichen werden auf der Panzerung transportiert.
    Über den Kasernen weht nach wie vor die georgische Flagge. Wieso hat man sie eigentlich nicht von Anfang an gesehen?
    ***
    Die Gefangenen werden mit dem Gesicht nach unten abgelegt, ihnen werden die Hände gefesselt. Ich trete dazu.
    «Jungs, was werdet ihr mit ihnen machen?»
    «In den Kamaz kommen sie! Fracht  200 machen wir aus ihnen!»
    Zum Teufel. Das hätte noch gefehlt. Ich gehe zu Jamadajew.
    «Sulim, ich bitte dich, schneid ihnen nicht die Kehle durch …»
    Jamadajew ist völlig perplex: «Bist du verrückt geworden? Wer hat das vor?» Ganz offensichtlich ist er verblüfft von meiner Bitte.
    Ich gehe zu den Gefangenen zurück. Die gucken mich an wie gehetzte Hunde: «Was ist, werden wir sterben?»
    «Nein.»
    «Wir dürfen am Leben bleiben?»
    «Ja.»
    Es sind gewöhnliche Bauern. Der eine wurde neben dem getöteten Richtkanonier gefangen genommen – als sein Leibwächter gewissermaßen, aber ein Krieger ist er nicht, das sieht man sofort. Der zweite zog stockbesoffen durch das Dorf, mit einer Granate in der Hand, und brüllte, Saakaschwili sei ein Idiot. Die Osseten wollen die Gefangenen treten, aber die Tschetschenen nehmen sie sanft zur Seite – lasst das. Sie geben ihnen zu essen, Zigaretten, Wasser. Ihre Kriegsgefangenen geben sie auf keinen Fall in die Hände der Osseten, die würden sie sofort erschießen.
    Die Propaganda, der zufolge die Russen marodieren und die Tschetschenen allen die Köpfe abschneiden, sind beides Lügen, nur aus unterschiedlichen Gerüchteküchen. Die russische Armee verhält sich äußerst korrekt gegenüber friedlichen Bewohnern. Orhan erzählt, sie hätten sich in einem Dorf, in dem sie unter starken Beschuss gerieten, auf die Keller verteilt. In den Kellern Gläser mit Kompott. Sie öffneten eins. An die Stelle legte ein Tschetschene hundert Rubel: «Damit kein Arschloch nachher behaupten kann, ich wäre ein Marodeur.»
    Die Einstellung zu den Kriegsgefangenen ist genau dieselbe wie zu Beginn des Ersten Tschetschenienkrieges. Man lebt mit ihnen, isst das Gleiche wie sie, teilt mit ihnen. Da ist noch kein Hass. Und man muss mit diesem ganzen Affentheater aufhören, bevor es beginnt.
    ***
    Der Graben – trübes, dreckiges Wasser, langsam treibend. Die Leute sitzen am Ufer. Alles staubig, dreckig, verrußt. Vereinzelt zieht es sie zum Wasser. Ich kann mich nicht überwinden, mich zu waschen. Kann Tereks Blut nicht von meiner Hand waschen. Es geht nicht. Da ist eine Starre. Völlige innere Leere. Der ganze Körper tut weh, die Hände zittern, die Beine sind schwer wie Blei. Einfach nur sitzen und sitzen. So wie immer nach dem Kampf.
    Das Blut ist getrocknet, ich ziehe es in langen Streifen ab.
    Ein Sanitäter kommt mit Verbänden vorbei, zeigt auf mein Bein. Das Hosenbein voller Blut. Das rechte. Kein Wunder, mit dem rechten Bein habe ich immer Pech. Es ist noch nie passiert, dass ich irgendwo war und mir kein Loch im rechten Bein geholt hätte. Ich schaue hin. Nein, keine Verwundung, nur die Haut abgeschürft. Das ist nicht mein Blut.
    Neben mir zwei Fotokorrespondenten. Von irgendwelchen internationalen Agenturen.
    «Ein feiner Kerl.» Ein Tschetschene zeigt auf einen von ihnen. «Im Keller wollte er die Maschinenpistole halten.»
    Andrej Kuz’minov fordert alle auf, die
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