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Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)

Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)

Titel: Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)
Autoren: Christa Wolf
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nicht weiter reagiert. Manchmal denke ich, mein Körper hat mich verlassen, und gehe auch deshalb nicht gerne unter Leute.
    Frühstück: Eine Scheibe Brot, Schinken, Tee, ein Apfel – von Gerd geschält und zurechtgemacht. Die »Berliner Zeitung«. Auf der ersten Seite unter der Überschrift »Berlin, Schönefelder Kreuz« ein Foto des polnischen Reisebusses, der gestern gegen einen Brückenpfeiler gerast ist, wobei es dreizehn Tote gab. Die Leute kamen aus dem Urlaub aus Spanien. – Dann: Koalition provoziert Arbeitslose. – Nur fünf Euro mehr für erwachsene Hartz- IV -Empfänger. Die Regierung schwört, daß sie, wie das Bundesverfassungsgericht es befahl, ihre Messung an den niedrigsten Einkommen vorgenommen habe, die immer noch etwas höher sein müßten als Hartz IV . Der eigentliche Skandal ist es ja, daß es keine untere Grenze für Niedrigeinkommen gibt und die also so unverschämt gering gehalten werden können – und an denen wird dann das noch niedrigere Einkommen, Hartz IV , gemessen! Auf der zweiten Seite wird die Bemessungsgrundlage für die Berechnungen dargelegt. – Dritte Seite: Das Tacheles, alternatives Kunstobjekt an der Oranienburgerstraße, ist in seinem Bestand bedroht. – Unterm Strich: »Einfach frei leben« – Gedenkveranstaltung in der Akademie der Künste für Bärbel Bohley, die an Krebs gestorben ist. Erinnert wird an ihren Ausspruch: Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat. Mir tut ihr früher Tod sehr leid. – Seite 4: Kommentar von Arno Widmann: Diskriminierung ist nötig. Zu den neuen Hartz- IV -Berechnungen. Zusammengefaßt: Wer nichts geleistet hat, der hat auch keinen Anspruch auf eine Leistung.Ihm soll geholfen werden. Aber er muß auch begreifen, daß er ein Bittsteller ist, daß er Hilfe braucht. – Kolumne: »Die zornigen Reichen« von Paul Krugman. Wie in Amerika die Reichen gegen Obama um ihre Privilegien kämpfen. (Obama wird es gegen diesen erbitterten Widerstand wohl leider nicht schaffen.) – Seite 6: Sonderparteitag der SPD . Gabriel versucht die Partei zu profilieren. (Aber haben sie denn 2012 einen Kanzlerkandidaten?) – Geheimwissen der Stasi genutzt. BND übernahm Chiffrierexperten der DDR . (Jetzt, zum zwanzigsten Jahrestag der Vereinigung, Stasi auf allen Kanälen.)
    Wirtschaft: Banker verdienen wieder üppig. (Man kann diese Dreistigkeit nach der Krise kaum glauben!) – IWF sieht in Deutschland robustes Wachstum. – Gewerkschaften warnen vor deutlicher Zunahme der Leiharbeit. – Auf Jahrzehnte unbewohnbar: Greenpeace hat die Folgen eines Super-Gaus für die Kernkraftwerke Krümmel und Biblis B berechnen lassen. (Die Koalition will die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern, ohne eine Lösung für die Lagerung des Atommülls zu haben.) Es wird beschrieben, daß das Risiko eines Unfalls wie in Tschernobyl in deutschen Kernkraftwerken nicht gleich null ist, und vor allem: Sie sind ganz unzureichend gegen Unfälle oder Anschläge aus der Luft geschützt. Ein Alptraum, mit dem zu leben man uns zwingt – aus Kostengründen! – »Immer mehr Menschen gehen mobil online« – und wir haben nicht einmal ein Handy! – Die Sportseiten lasse ich wie immer aus.
    Feuilleton: Merkwürdigerweise die Schlagzeile »Christa T. ist Steuerfachkraft geworden«. Ein Fotograf und der Redakteur Arno Widmann reisen bis zum 2. Oktober auf der Suche nach der Einheit durch die Republik. Widmann gibt einer jungen Frau aus der DDR , die sich zur Steuersachbearbeiterin entwickelt, ausgerechnet den Namen »Christa T.«. Ist das nunnach seiner schrecklich verunglückten Rezension zu »Stadt der Engel« (die er als »Liebeserklärung« verstanden wissen wollte) ein erneuter Annäherungsversuch? Der Mann, dessen Artikel übrigens meistens interessant und klug sind, ist mir ein Rätsel. – Unterm Strich: Post mortem – was für neue biogerechte Bestattungsmöglichkeiten sich entwickeln: Die Asche in einer recycelbaren Urne aus gepreßtem Mais und Kartoffelmehl unter einem Baum im Wald begraben lassen, und so weiter. Die Friedhöfe reichen nicht mehr aus. Und anscheinend wollen auch viele Angehörige nicht mehr an einem Grab stehen müssen. – Ich spare mir die Besprechung von Theateraufführungen, die ich doch nicht sehen werde, weil wir abends leider überhaupt nicht mehr weggehen – wegen meiner Behinderung mit den beiden Krücken. Nur soviel: In Dresden ist Uwe Tellkamps »Der Turm« dramatisiert und aufgeführt worden; inzwischen sind
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