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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens
Autoren: Richard Ford
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zurückkommt. Da repariert er bestimmt nichts mehr.«
    Er blickte zur Sonne, die, kirschrot und ganz rund, den löchrigen Schatten der Waschbären-Käfige über seine Fußspitzen warf und dachte, daß es ungefähr halb drei sein müßte.
    »Ist das die Frau da im Pickup?« fragte das Mädchen.
    Der Hinterkopf der Frau war im ovalen Fenster aufgetaucht. Sie machte sich im Rückfenster an ihrem Gesicht zu schaffen.
    »Ja, das ist sie«, sagte er.
    »Sie müssen schon hier übernachten oder nach Tucumcari fahren«, sagte das Mädchen und drehte sich zu den Käfigen um. »Von hier bis Tucumcari gibt’s keine Werkstatt. In der Richtung ist gar nichts.« Sie zeigte auf die Straße, die in die Wüste führte. »Morgen früh ist Lonnie wieder fit. Dann kann er’s reparieren. Er ist erst zweiundzwanzig, aber er ist kein Idiot.«
    »Wo ist dein Daddy?« fragte er und blickte zur heruntergekommenen Rückseite des Hauses hoch. Ein weißer Waschkessel, dessen eines Bein verbogen war, stand davor auf der Erde.
    »Weg«, sagte sie und spitzte ihren Mund.
    »Sind sie tot?« fragte er.
    »Die sind nach Las Vegas gefahr’n. Sind noch nicht wieder zurück.«
    »Erwartest du sie denn?«
    »Ich denke schon«, sagte sie und sah ihn gleichgültig an.
    Langsam wurde er nervös. »Wie spät ist es?« fragte er.
    Das Mädchen konsultierte ihre Armbanduhr, ein schmales silbernes Band mit einem Zifferblatt, das so klein wie ihre Hemdknöpfe war. »Drei Uhr«, sagte sie. »Wir haben ein Zimmer. Mit ’nem Ventilator, wenn Lonnie ihn noch nicht verkauft hat.«
    Von der Wüste her kam ein Windzug auf, zog durch die Käfige und trug den Fäulnisgeruch der Waschbären zu ihnen zurück.
    »Ich muß den leeren Käfig saubermachen«, sagte das Mädchen und rümpfte ihre Nase, um ihm zu zeigen, daß sie es auch roch.
    »Was war denn da drin?« fragte er.
    »Der Hase da«, sagte sie und strich eine gelbe Haarsträhne von ihrer Schläfe weg, wo der Wind sie hingeweht hatte.
    Er blickte zurück auf den Hasen, der sich an den Draht drängte und den Rotluchs seltsam genau musterte. Panik schoß in ihm hoch, als bräche in seinem Innern eine winzige Ader auf.
    »Ich möchte den Hasen kaufen«, sagte er.
    Sie runzelte die Stirn. »Leo kriegt Hunger, wenn es kühl wird«, sagte sie. »Das weiß der Hase aber nicht.«
    »Er hat’s bestimmt gemerkt«, sagte er.
    Sie kicherte und gab ihm zu verstehen, daß es überhaupt nicht zählte, was ein Hase wußte. Der Wind spielte in den einzelnen kurzen Haaren über ihrer Stirn und ließ sie erwachsen aussehen.
    »Wie heißt du?« fragte er.
    »Mona Nell«, sagte sie, wackelte mit den Schultern und zwängte die Hände in die Hosentaschen. »Wie heißt denn die Frau?«
    »Ich glaube, Jimmye hat sie gesagt.«
    »So heißt mein Daddy«, sagte das Mädchen und lachte.
    Er sah auf den Pickup und die Frau, die hoch oben auf dem Sitz saß, ihm den Rücken zuwandte, in den Spiegel schaute und an ihrem Haar herumzupfte. Er dachte, daß er sich eigentlich davonmachen sollte, und fühlte sich gleichzeitig zu hilflos, um es geschickt einzufädeln.
    Das Mädchen kicherte wieder, hockte sich hin und begann, die Waschbären zu necken, die in einem Haufen am Draht lagen.
    Er ging zurück zum Pickup und hatte die Empfindung, als hätte das Mädchen, ohne daß er wirklich sagen konnte, wie, irgendeinen Druck auf ihn ausgeübt, dem er sich geschlagen geben mußte.
    »Wo zum Teufel stecken die denn?« sagte die Frau und blickte böse aus dem Fenster, mit hochtoupiertem Haar und lila geschminkten Augen, als hätte man sie geschlagen.
    »Weg«, sagte er sanft. »Wird nicht vor heute abend zurück sein.«
    Er stützte sich auf den Fensterrahmen und schaute zurück zu dem Mädchen, das im Staub hockte.
    »Das ist vielleicht eine Scheiße«, sagte die Frau. »Was zum Teufel soll ich denn machen, wo ich doch um sechs Larry abholen muß?« Sie verzog den Mund.
    »Sieht so aus, als gäb’s zwei Möglichkeiten«, sagte er und starrte zu Boden. »Nach Tucumcari fahren. Die Kleine sagte, daß es da eine Werkstatt gibt. Oder hierbleiben und jemanden anrufen. Larry kann dich doch hier abholen.«
    Sie sah ihn stirnrunzelnd an, als ob sie es nicht gern hörte, daß er den Namen aussprach. Ihre Augen wurden schmal. »Haben die ein Telefon?«
    Er blickte zur Hausecke und sah eine Fernleitung, die zur Straße hinübergezogen war. »Nehme ich an«, sagte er.
    Sie sah auf das Kabel. Schweiß hatte sich an ihren Haarwurzeln gebildet. »Scheißkerl, Larry
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