Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)

Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)

Titel: Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Autoren: Kate Noble
Vom Netzwerk:
Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
    Der Mann war in das verschlissene Ölzeug gekleidet, wie es die Fischer hier trugen. Nur die Pistole mit dem verzierten Griff, die auf den blonden Schopf des Franzosen gerichtet war, gehörte nicht zur Verkleidung. Es war schlicht eine Tatsache, dass die tödliche Waffe des Mannes exakt mit der identisch war, die er selbst an der Hüfte trug.
    »Sieh an«, sagte der Franzose in fehlerfreiem, wenn auch mit Akzent gesprochenem Englisch, »unser kleines Täubchen ist angekommen. Endlich.«
    »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie habe warten lassen«, erwiderte der Engländer in fehlerfreiem, wenn auch mit Akzent gesprochenem Französisch.
    Der Franzose setzte sich in den Armsessel, der am Fenster stand. »Ich muss zugeben, dass Sie anders aussehen, als ich es erwartet habe.«
    Der Engländer kniff die Augen zusammen. »Sie hingegen sehen genau so aus, wie ich es erwartet habe.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja. Allerdings lag der Vorteil auch auf meiner Seite. Ich habe Sie schon einmal aus der Ferne gesehen.« In dem kleinen Zimmer klickte es metallisch, als der Engländer seine Pistole entsicherte. »Sie haben einem meiner Landsleute die Kehle aufgeschlitzt.«
    Plötzlich lief dem Franzosen ein gänzlich unvertrautes Gefühl über den Rücken. Und weil es ihm so unvertraut war, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was es war: Panik.
    Und in diesem winzigen Bruchteil einer Sekunde wurde ihm klar, dass er seinen Gegner hoffnungslos unterschätzt hatte. Denn er hatte es versäumt, den Hass einzukalkulieren, der, wie er jetzt erkannte, in Blue Ravens Augen loderte.
    »Sie sind durch Städte und über Schlachtfelder verfolgt worden«, stieß der Engländer mit beißender Verachtung aus, »und Sie haben viele Leben zerstört oder vernichtet. Zu viele.«
    »Monsieur«, entgegnete der Franzose – trotz seines wild pochenden Herzens gelang ihm ein kaltes Lächeln – , »ich bin sicher, wir können unsere Unstimmigkeiten wie Gentlemen beilegen.«
    Der Engländer hatte ihn genau im Blick. Arm und Auge waren stark und fest. »Nein«, gab er zurück, »ich habe es satt, ein Gentleman zu sein.«
    In einer raschen Bewegung riss der Franzose die Hand hoch. Pistolenschüsse hallten durch die Luft.
    Blue Raven blieb auf der Türschwelle stehen, bis das Bein unter seinem Gewicht nachgab. Aus der Wunde ein paar Zentimeter über seinem Knie sickerte Rauch, dann setzte ein warmes, rotes Rinnsal ein und lief ihm den Schenkel hinunter. Der Franzose – der Feind, den er fast ein Jahrzehnt lang gejagt hatte, der Englands höchsten politischen Führern Geheimnisse abgeschmeichelt und das Blut derer vergossen hatte, die sich nicht so leicht hatten einfangen lassen –, dieser Mann blieb sitzen.
    Und würde auch nicht wieder aufstehen.
    Der rote Fleck auf der weißen Hemdbrust des Franzosen wurde größer und größer. Die Augen hatte er überrascht aufgerissen.
    Bis zum letzten Atemzug hatte er geglaubt, er werde gewinnen.
    Der Engländer humpelte zur Leiche des Franzosen und nahm ihr die Pistole aus der erschlafften Hand. Ohne viel Federlesens steckte er sich die Waffe in den Hosenbund, um sie nach so vielen Jahren wieder mit ihrem Gegenstück zu vereinen. Sein Blick fiel auf die Kette, die der Tote um den Hals trug. Ein Kruzifix hing daran. Er befreite es aus dem blutgetränkten Hemd und legte es dem Mann auf die Brust. Dann nahm er sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er seinem Feind sanft die Augen schloss.
    Blue Raven richtete sich auf und zuckte gleich wieder zusammen, als er das Gewicht auf das verletzte Bein verlagerte. Viel Zeit blieb ihm nicht. Den Krieg hatten die Engländer zwar gewonnen; aber er befand sich immer noch auf französischem Boden. Auf der Treppe konnte er bereits die schweren Schritte des Wirtes hören. Es blieb also nur noch Zeit für eine letzte Kleinigkeit.
    Aus der Tasche seines Übermantels aus Öltuch zog er eine schwarze Feder, die er dem toten Mann behutsam in den Schoß legte.
    Als er das Wirtshaus durch eines der Fenster verließ, konnte er seine Hochstimmung nicht länger zügeln. Adrenalin schoss durch seinen Körper, besiegte den Schmerz seiner Verletzung und beflügelte seine Flucht.
    Es war vorbei.
    Endlich.
    Ein Jahr später
    »Ob wohl alles glattgehen wird?«, fragte der Mann, und dabei klang seine Stimme nervöser, als ihm lieb war. Er war stolz darauf, sich immer den Anschein der Lässigkeit zu geben, aber die lärmende Abendgesellschaft im Bull and Whisker
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher