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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus
Autoren: Nicci French
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den Würmern.«
    »Gefällt es dir in der Schule?«
    Schweigen.
    »Was habt ihr gestern gemacht?«
    »Weiß nicht.«
    »Sag mir drei Dinge, die du gestern gemacht hast.«
    »Ich hab gespielt. Und gespielt. Und gespielt.«
    »Mit wem hast du gespielt?« Munter. Eifrig.
    »Mungo. Kann ich mein Band hören?«
    »Der Recorder ist kaputt. Du hast Münzen reingesteckt.«
    »Das ist nicht fair. Du hast es versprochen.«
    »Ich habe es nicht versprochen.«
    »Doch, hast du.«
    Wir waren schon drei Stunden wach, und es war noch nicht einmal neun Uhr. Elsie war vor sechs in mein Bett gekrochen, hatte sich neben mir zusammengerollt, mir in der eisigen Morgendämmerung die Daunendecke weggezogen, meine Beine mit ihren Zehennägeln zerkratzt, die ich vergessen hatte zu schneiden, mir ihre kalten kleinen Füße an den Rücken gedrückt, den Kopf unter meinen Arm geschoben, mich mit einem warmen, nassen, gespitzten Mund geküßt, mir mit kundigen Fingern die Augenlider hochgezogen und das Licht neben dem Bett angeknipst, so daß für einen Augenblick das Zimmer voller unausgepackter Kartons und Kisten, aus denen zerknitterte Kleider quollen, in einem schmerzhaften Nebel verschwamm.
    »Warum kannst du mich nicht abholen?«
    »Ich muß arbeiten. Und du magst doch Linda.«
    »Mir gefallen ihre Haare nicht. Warum mußt du arbeiten?
    Warum kann Daddy nicht arbeiten, damit du zu Hause bleiben kannst wie andere Mütter?«
    Sie hat keinen Daddy. Warum sagt sie so etwas?
    »Ich komme und hole dich bei Linda ab, sobald es geht, das verspreche ich dir. Und ich mache dir etwas zum Abendessen.«
    Ich ignorierte das Gesicht, das sie daraufhin zog. »Und ich bringe dich morgens zur Schule. In Ordnung?« Ich versuchte, an etwas Fröhliches zu denken. »Elsie, warum spielen wir nicht unser Spiel? Was ist im Haus?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Doch, du weißt es . Was ist in der Küche?«
    Elsie schloß die Augen und runzelte vor Anstrengung die Stirn.
    »Ein gelber Ball.«
    »Fabelhaft. Was ist im Bad?«
    »Eine Packung Coco Pops.«
    »Phantastisch. Und was ist in Elsies Bett?«
    Aber ich hatte ihre Aufmerksamkeit verloren. Elsie starrte aus dem Fenster. Sie zeigte auf eine langsam dahinziehende graue Wolke. Ich schaltete das Radio ein. »… frostiges Wetter …

    starke nordöstliche Winde …« Bedeutete das aus Nordosten oder in Richtung Nordosten? Was spielte es schon für eine Rolle? Ich drehte den Knopf, Rauschen, Jazz, Rauschen, eine dumme Diskussion, Rauschen. Ich schaltete aus und konzentrierte mich auf die Landschaft. Flach, gefurcht, grau, naß, gelegentlich eine industriell aussehende Scheune aus Aluminium oder Leichtbausteinen. Kein guter Ort, um sich zu verstecken.
    Als ich versucht hatte, zu einer Entscheidung über den Job in Stamford zu kommen, hatte ich eine Liste aufgestellt. Auf eine Seite hatte ich die Dinge geschrieben, die dafür, auf die andere die, die dagegen sprachen. Ich mag Listen – an jedem Arbeitstag schreibe ich eine Liste, auf der ich die Dinge, die Priorität haben, mit verschiedenfarbigen Sternchen kennzeichne. Das gibt mir das Gefühl, daß ich mein Leben unter Kontrolle habe; und ich liebe es, die Dinge, die ich erledigt habe, sauber durchzustreichen. Manchmal schreibe ich sogar ein paar ordentlich durchgestrichene Aufgaben ganz oben auf die Liste, um mich ein bißchen in Schwung zu bringen, weil ich hoffe, daß ich so auch die Sachen in den Griff bekomme, die ich noch nicht erledigt habe.
    Was hatte für den Job gesprochen? Die Liste sah ungefähr so aus:

    Landleben
    Größeres Haus
    Mehr Zeit für Elsie
    Job, den ich mir immer gewünscht habe
    Mehr Geld
    Zeit, das Trauma-Projekt zu beenden
    Spaziergänge
    Haustier für Elsie (?)

    Kleinere Schule
    Klärung der Beziehung zu Danny
    Abenteuer und Veränderung
    Mehr Zeit (Das war mit mehreren Sternchen versehen, da es alle anderen Gründe einschloß.)

    Auf der Seite mit den Kontras hieß es schlicht: London verlassen. Ich bin in den Vorstädten groß geworden, und während meiner Teenagerjahre wollte ich immer bloß ins Zentrum gelangen, in die Mitte, ins Schwarze sozusagen. Als ich klein war und meine Mutter noch meine Kleider auswählte (sittsame Röckchen, Polohemden, ordentliche Jeans, blaue Sandalen mit diskreten kleinen Schnallen, vernünftige Mäntel mit Messingknöpfen, dick gerippte Strumpfhosen, die immer rutschten – »also schau mal einer an, wie du gewachsen bist«, pflegte meine Mutter zu sagen, wenn sie versuchte, meinen schlaksigen Körper in
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