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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus
Autoren: Nicci French
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den Heizofen ein; er erwärmte mein linkes Bein und gab mir das Gefühl, ein Vormittagsschläfchen zu brauchen.
    Der Bildschirm meines Computers schimmerte grün. Der Cursor pulsierte mit gesunden sechzig Schlägen pro Minute. Ich klickte mit der Maus die Festplatte und dann eine leere Datei mit dem Titel BUCH an. »Selbst eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzelnen Schritt«, hatte irgend jemand einmal gesagt. Ich legte eine Datei an und betitelte sie mit
    »Einleitung«. Ich öffnete die Datei und schrieb erneut

    »Einleitung«. Das Wort stand, bemitleidenswert klein, oben über einer grünen, leeren Fläche. Ich druckte es fett und größer und wählte dann eine andere Schriftart, so daß es dicker und farbiger aussah. So, das war besser; jedenfalls wirkte es eindrucksvoller.
    Ich versuchte mich zu erinnern, was ich in dem Exposé für meinen Verleger geschrieben hatte. Mein Gehirn fühlte sich so leer an, wie es der Bildschirm vor mir war. Vielleicht sollte ich mit dem Titel anfangen. Wie nennt man ein Buch über traumatische Erlebnisse? In meinem Exposé hatte ich es einfach
    »Trauma« genannt, aber das klang ein bißchen schlicht, wie eine Art gelehrter Idiotenführer, und ich wollte etwas Kontroverses, Polemisches und Aufregendes; ich wollte mich damit beschäftigen, wie Trauma als Begriff mißbraucht wird, so daß die Menschen, die wirklich darunter leiden, keiner bemerkt, während Leute, die sich von Katastrophen angezogen fühlen, als Trittbrettfahrer davon profitieren. In großer Druckschrift schrieb ich über »Einleitung« »Die verborgene Wunde« und zentrierte die Wörter. Das hörte sich an wie ein Buch über Menstruation.
    Mit einem kurzen Wischen der Maus löschte ich die Buchstaben. »Vom Geburtsschock zum Kulturschock«. Nein, nein, nein. »Traumata – Opfer und Süchtige«? Aber das war nur ein kleiner Aspekt des Buches, nicht der Gesamtinhalt.
    »Seelensuche«, ein passender Titel für ein religiöses Pamphlet.
    »Auf den Spuren der Trauer«. Na ja. Wie wär’s mit »Die Trauma-Jahre«? Das würde ich mir für meine Memoiren aufheben. Doch jetzt verging wenigstens die Zeit. Fast eine Dreiviertelstunde tippte und löschte ich Titel, bis ich schließlich wieder am Anfang war. »Einleitung«.

    Ich ließ mir ein Bad ein, goß teure Badeöle hinein und lag in dem glitschigen Wasser, bis meine Finger schrumplig wurden; ich las ein Buch über Endspiele von Schachpartien und lauschte dem Geräusch des Regens. Dann aß ich zwei Scheiben Toast mit zerdrückten Sardinen darauf und den Rest eines Käsekuchens, der seit Tagen unter Klarsichtfolie im Kühlschrank gestanden hatte, zwei Schokoladenkekse und eine ziemlich mehlige Scheibe Melone.
    Ich ging zurück in mein Arbeitszimmer zum melancholischen Grün des Bildschirms und tippte entschlossen: »Samantha Laschen wurde 1961 geboren und wuchs in London auf. Sie ist leitende Psychiaterin am neuen Zentrum für posttraumatische Persönlichkeitsstörungen mit Sitz in Stamford. Sie wohnt mit ihrer fünfjährigen Tochter und ihrer Katze im ländlichen Essex und spielt in ihrer Freizeit Schach.« Das mit der Katze strich ich wieder aus: zu versponnen. Und das mit dem Schach auch. Ich löschte mein Alter (zu jung, um eine Autorität zu sein, zu alt für ein Wunderkind), das über das Aufwachsen in London und den Wohnsitz in Essex ebenfalls (langweilig). Ich löschte Elsie – ich würde meine Tochter nicht tragen wie ein Accessoire. Dann fing ich an herumzuspielen. Kannten wir Ärzte nicht auch ein gewisses Statusdenken? So, das gefiel mir: »Samantha Laschen ist Fachärztin für Psychiatrie.« Oder wie wär’s einfach mit:
    »Samantha Laschen ist …«
    Minimalismus war immer mein Stil. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und schloß die Augen.
    »Keine Bewegung«, sagte eine Stimme, und zwei warme, schwielige Hände legten sich über meine geschlossenen Augen.
    »Mmmm«, sagte ich und lehnte den Kopf nach hinten. »Ein fremder Mann, der mir die Augen zuhält.«
    Ich spürte Lippen an meiner Kehle. Mein Körper rutschte tiefer in den Sessel, und ich fühlte, wie seine Spannung sich löste.
    ›»Samantha Laschen ist …‹ Na, dagegen kann ich nichts sagen. Aber vielleicht gibt es bessere Arten, wie du deine Tage verbringen kannst, als drei Wörter zu schreiben, was?«
    »Zum Beispiel?« fragte ich, noch immer blind, noch immer schlaff, das Gesicht von seinen rauhen Händen umschlossen.
    Er drehte den Stuhl um, und als ich die Augen
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