Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein schicksalhafter Sommer

Ein schicksalhafter Sommer

Titel: Ein schicksalhafter Sommer
Autoren: Daniela Frenken
Vom Netzwerk:
leid, er erschien mir so friedlich…“
    „Gehen Sie mir aus den Augen, Hauser, und kein Wort zu niemandem, verstanden?“
    „Ich versteh nicht ganz, Herr Direktor.“
    „Sie sollen vergessen, dass wir einen Insassen weniger haben, habe ich mich jetzt verständlich ausgedrückt? Können Sie sich in ihrer Beschränktheit vorstellen, was hier los ist, wenn herauskommt, dass wir hier die Verbrecher nicht hinter Schloss und Riegel halten können?“
    Schmitt trommelte nervös mit seinen Fingern auf die Akte, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Das hatte man davon, wenn man nur Hilfskräfte zur Verfügung hatte. So ein verdammtes Pech aber auch. Die Behörden saßen ihm schon seit Jahren im Nacken, da sie dem Führungsstil seiner Heilanstalt skeptisch gegenüberstanden. Erst letzten Monat hatte irgend so eine Gruppe von neumodischen Ärzten wieder darauf gedrängt, dass er die Idioten, die ein Verbrechen begangen hatten, nach Bedburg verlegen ließ. Pah, Bedburg. Ein riesiger Komplex mit über 2000 Betten. Und modernen Behandlungsmethoden. Im Bett liegen und faulenzen konnten die da und in der Wanne plantschen, den ganzen Tag. Bei schönem Wetter sogar an der frischen Luft. Das musste man sich mal vorstellen. Verbrecher , die behandelt wurden, als wären sie im Urlaub. Schmitt schnaubte. Aber nicht mit ihm. Hier wurde dieser Abschaum so behandelt, wie er es verdiente. Und ausgerechnet jetzt war ihm ein Schwerverbrecher entwichen. Schmitt sah sich schon auf der Titelseite der Zeitung. Das wäre das Ende seiner Anstalt. Seine Einrichtung war den umliegenden Gemeinden sowieso schon lange ein Dorn im Auge und das würde das Fass zum Überlaufen bringen. Erregt erhob er sich erneut und schritt zum Fenster. Nein, das würde auch niemandem nützen, wenn er das publik machen würde. Der Verrückte war eh schon über alle Berge und besser, ein gefährlicher Irrer draußen, als wenn man seine kleine Einrichtung hier schließen würde und so viele nicht mehr ordentlich verwahrt werden könnten. Ja, man musste in größeren Dimensionen denken.
    Der Direktor seufzte. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Er wandte sich wieder von der schönen Aussicht vor dem Fenster ab und wurde gewahr, dass dieser Tölpel von Wärter ihn immer noch anstierte. „Gehen Sie, Hauser, und denken Sie daran, wem man die Schuld an diesem Dilemma geben wird, wenn Sie den Mund nicht halten können.“ Schmitt nahm wieder Platz. „Ihnen, Hauser! Und Ihre Arbeit wären Sie dann auch los, das können Sie sich ja wohl vorstellen.“ Der Direktor sah ihn eindringlich an, und als Hauser kriecherisch nickte und von dannen schlurfte, zündete er sich beruhigt eine Zigarre an und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Die Akte verschwand in der untersten Schublade.
     
    Robert Kalter starrte auf das Rasiermesser in seiner Hand. Es blinkte in der Sonne wie ein Signalfeuer. Er fragte sich, ob der Mann, dem er die Reisetasche gestohlen hatte, hinter ihm her war, aber eigentlich glaubte er das nicht. Der Kerl war friedlich in das Wirtshaus marschiert und hatte sich mit Essen vollgestopft. Ehe er seine Mahlzeit beendet hatte, war Robert schon über alle Berge gewesen. Nun saß er ungefähr drei Kilometer entfernt sicher an einem See und rasierte sich. Die Kleider waren zwar alles andere als neu und zu groß, aber allemal besser als die dreckverkrusteten Lumpen, die er in der Anstalt getragen hatte. Er hatte sich im See gebadet, rasiert und trug sogar richtige Kleidung. Er fühlte sich fast wie ein normaler Mensch.
    Robert sah wieder in den kleinen Spiegel und sein Mut verließ ihn. Das Gesicht, das er da anschaute, würde niemals normal erscheinen. Seine verschiedenfarbigen Augen waren schon von Kindesbeinen an sein Fluch gewesen und würden ihn immer verraten. Sein rotes Mal, das sich vom Haaransatz bis zum Kiefer über einen Teil seiner linken Gesichtshälfte zog, wurde an seiner Schläfe von einer Brandnarbe verdeckt. Das machte ihn auch nicht vertrauenerweckender. Robert steckte den Spiegel schnell wieder in die Reisetasche zurück. Nein, trauen sollte man ihm wirklich nicht. Er tat es ja selbst nicht. Solange er denken konnte, zerstörte er alles, was ihm lieb und teuer war. Was mit seiner Mutter passiert war, hatte er nie gewollt, und als später das Nachbarsmädchen gestorben war, wünschte Robert sich im Nachhinein, dass er ihm nie zu nahe gekommen wäre.
    Man hatte versucht, die „Brut des Satans“ zu vernichten, doch man hatte es nicht geschafft.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher