Ein schicksalhafter Sommer
der Stall. Er bildete die linke Seite des Vierkanthofes. Davor befand sich der Zwinger für den Hofhund, der aber leer war. Und zu guter Letzt stand links in der Ecke das Klohäuschen. Die vierte Seite bildete das große Tor, unter dem er gerade stand. Es war zwischen S tall und Hauswand gemauert.
Es gab nicht viel Vieh, ein paar Schweine, eine Kuh und ein Pferd. Zusammen mit den Hühnern, Enten und Gänsen reichte es wohl, die gesamte Familie zu versorgen. Hinter dem Haus erstreckte sich ein großer Garten mit Gemüsebeeten und Obstbäumen. Vor dem Hof befanden sich zwei Weiden rechts und links des Eingangstores. Der ganze Hof war umgeben von hohen Pappeln, die jetzt leise im Wind rauschten.
Es war wirklich ein Witz, dass es ihn ausgerechnet hierher, an solch einen friedlichen, wunderschönen Ort verschlagen hatte, zu einer Bilderbuchfamilie, die ihn sogar bei sich am Tisch mitessen ließ. Robert lachte abfällig. Sein Gewissen meldete sich und sagte ihm, er müsse fort von hier, solange es noch nicht zu spät war. Wie schnell konnte er das alles hier in einen Schauplatz des Grauens verwandeln. Nicht, dass er so etwas vorhatte. Nie mehr wollte er solche Dinge erleben, wie er sie in seiner Erinnerung hatte. Und diesmal würde auch alles gut gehen, beruhigte er sich. Er fühlte sich gut und kein bisschen verrückt. Aber er wusste auch, dass er sich nicht auf sich verlassen konnte. Robert sah wieder auf die geschlossenen Fensterläden. Die Leute waren auf der Hut vor ihm. Das sollten sie auch sein.
Kapitel 3
„Meine Güte, ich kann dir ja gar nicht sagen, wie froh ich bin“, in einer Imitation ihrer Mutter hob Sofia die gefalteten Hände zum Himmel, „dass ich geheiratet habe und da raus bin.“
Katrin warf ihrer Schwester einen amüsierten Blick zu. „Freu dich, nur noch ein paar Kilometer durch das Feindesland trennen dich von deinem Glück.“ Sie zeigte auf den Feldweg vor ihnen, der ins Dorf führte.
„Nein, wirklich, Katrin. Jedes Mal, wenn ich von einem Besuch bei euch wieder nach Hause komme, könnte ich weinen vor Glück, da ss ich diesem Leben entkommen bin.“
„Sofia!“ , rief ihre Schwester entsetzt. „Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, dein Leben sei bisher entsetzlich gewesen.“
„Für mich war es das auch.“
„Wie kannst du so was sagen? Weißt du, wie Unrecht du Mama und Papa damit tust?“, rief Katrin jetzt ärgerlich.
„Es geht ja nicht gegen Mama und Papa. Und vielleicht hab ich ja auch ein bisschen übertrieben“, lenkte sie ein. „Aber das Leben auf einem Bauernhof ist doch einfach furchtbar. Immer nur Arbeit. Arbeit, die nie endet. Und Dreck und Sorgen wegen der Ernte, und das ist erst der Anfang.“ Sofia schauderte. „Und wofür das alles? Die ganze Plackerei für das hier!“ Sie machte eine ausholende Armbewegung, die die umliegenden Felder einschloss. „Und dann kommt vielleicht eine Dürre oder ein verregneter Sommer oder was weiß ich was, und schon nagt man am Hungertuch. Ihr zumindest, weil ihr nicht die geringsten Rücklagen habt.“
Katrin zuckte die Achseln. „So wie du es sagst, klingt es wirklich nicht besonders verlockend. Aber es ist ja nicht nur Plackerei. Wenn du siehst, wie alles wächst und gedeiht, was du gepflanzt hast, oder wenn du dann alles ernten kannst, das hat doch etwas ungeheuer Befriedigendes.“ Katrin lächelte bei diesem Gedanken. „Oder die Tiere auf dem Hof“, fuhr sie begeistert fort, „und die Gegend, wenn du morgens aus dem Fenster guckst, das alles ist doch wunderschön.“
„Ich glaub, du meinst das auch noch wirklich, was du da sagst“, brachte ihre Schwester staunend heraus.
„Natürlich meine ich das so! Ich würde das alles vermissen. Ich stelle mir das schrecklich vor, wenn wir den Hof wirklich verlieren würden und ich dann den ganzen Tag in einer Fabrik arbeiten müsste. Womöglich noch in einer der zahlreichen Webereien hier. Den ganzen Tag am Webstuhl. Ich darf gar nicht dran denken.“
„Du bist ja verrückt. Da willst du dich lieber weiter abplagen, bis du alt und grau bist und die Gicht in den Händen hast, wie Oma? Ich kann dich einfach nicht verstehen .“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Wenn Papa wenigstens mit der Zeit gegangen wäre und ein paar Erneuerungen geschaffen hätte, als er die Gelegenheit gehabt hat. Dann würde viel von der Arbeit, die ihr jetzt habt, einfach wegfallen oder viel schneller gehen.“ Sofia war jetzt richtig in Fahrt. „Nicht eine der
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