Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein reiner Schrei (German Edition)

Ein reiner Schrei (German Edition)

Titel: Ein reiner Schrei (German Edition)
Autoren: Siobhan Dowd
Vom Netzwerk:
hat’s mir erzählt. Dann muss man die ganze Milch mit sich rumschleppen.«
    Shell dachte an die Kühe, die sie gesehen hatte, mit den Maschinen an ihren Eutern, drüben in der Molkerei von Duggans Hof. »Wie viel Milch denn? Was denkst du?«
    »So ein, zwei Liter bestimmt, würd ich sagen. Da drüben ist Declan, ich muss weg!« Sie rannte hinter Declan her, dessen Umrisse in der Ferne aufgetaucht waren. Er steuerte auf die Sporthalle zu, um dort eine zu rauchen. Shell zuckte mit den Schultern, wandte sich ab und brütete weiter über dem Mysterium der Milch verschiedener Säugetierarten.
    In der Mittagspause kam Declan Ronan zu ihr herüber und bot ihr an, mit ihm hinter die Sporthalle zu gehen und einen Zug von seiner Zigarette zu nehmen. Bridie musste nachsitzen.
    »Ich weiß ’n tollen Witz: Welche BH-Marke trug die Jungfrau Maria, als sie laktierte?«, sagte Declan.
    Shell überlegte. Das Wort laktieren verwirrte sie, aber sie wollte es sich nicht anmerken lassen. »Weiß nicht«, sagte sie. »Ich geb auf.«
    »Einen 33J-Wonderbra«, sagte er. »Gecheckt?«
    »Ich glaub nicht«, gab sie zu.
    »Die erste 3 für den Heiligen Vater, die zweite 3 für den Heiligen Geist und das J-Körbchen für den Kandidaten, Jesus – damit er aufs ewige Leben trinken konnte.«
    »Und Wunder vollbringen?«, schlug Shell vor.
    »Ganz genau«, sagte er und reichte ihr die Zigarette.
    Sie nahm einen langen Zug und reichte sie zurück. Sie saßen zusammen in der Sonne. Theresa Sheehy spähte um die Ecke, als wollte sie sich zu ihnen gesellen, aber Declan scheuchte sie fort.
    »Warum willst du sie denn nicht dabeihaben?«, fragte Shell, als sie wieder allein waren.
    »Ihre Beine sind zu fett.«
    Shell versetzte ihm einen Schlag. Er ließ sie noch einmal an seiner Kippe ziehen, dann griff er ihr an die Wade. »Anders als deine.« Er fuhr mit der Hand hinauf in ihre Kniekehle und kitzelte sie.
    »Lass los.«
    »Schön und schlank.« Er zog die Hand zurück und grinste. »Miss Dornenhecke.«
    »Du, Bridie und ich, Declan«, Shell blies lächelnd den Rauch aus. »Wir sind der Club von Coolbar, stimmt’s?« Sie erinnerte sich daran, dass Declan all die Jahre ein vertrauter Quälgeist gewesen war. In der Grundschule hatte er die Mädchen immer kreuz und quer über den Pausenhof gejagt und ihnen die Röcke hochgerissen. In der Oberschule fuhr er manchmal mit Shell und Bridie zusammen nach Hause und saß abwechselnd mal neben der einen oder der anderen.
    Er nahm ihr die Kippe ab und schnaubte verächtlich.
    »Coolbar«, sagte er, »ist ein Furunkel im Gesicht der Welt.«
    »Wohl wahr.« Shell nickte weise, obwohl sie keine Ahnung hatte, was ein Furunkel war.

Sechs
    Bei Meehan’s den BH zu klauen fühlte sich gar nicht wie Sünde an, obwohl es eine war. Bridie beging sie für Shell. Als niemand hinschaute, holte sie einen BH aus seiner Schachtel. Er war weiß, mit gekreuzten Trägern am Rücken. Sie ließ ihn zwischen ihre Arbeitshefte gleiten und wandte sich mit einem prüfenden Blick den Nachthemden zu. Fast hätte sie noch ein knappes rosafarbenes Negligé mitgehen lassen, aber Shell hielt sie zurück und sie machten, dass sie fortkamen. Den ganzen Weg die Straße hinunter bis zur großen Uhr wären sie fast gestorben vor Lachen. Drüben an der Polizeistation stand einsam Dad und schüttelte seine Büchse. Shell sah, wie einer der Passanten die Straßenseite wechselte, um nicht an ihm vorbeigehen zu müssen.
    »Nicht da lang«, keuchte sie und wich zurück, ehe er sie sehen konnte.
    »Lieber keinen Vater als so einen«, sagte Bridie mit einem Blick gen Himmel.
    »Wohl wahr«, sagte Shell. Sie verschwanden in einer Seitengasse und schlugen den Rückweg zur Bushaltestelle ein.
    Bridie gab ihr den BH. »Ich fahr noch nicht nach Hause«, sagte sie.
    »Wieso?«
    »Hab eine Verabredung. In der Stadt.« Sie klang fast wie eins der Mädchen aus den amerikanischen Soap-Serien, von denen sie immer erzählte.
    »Eine Verabredung? Mit wem?«
    Bridie schob ihr Kinn vor und warf die Haare zurück. »Geheim!« Sie winkte zum Abschied und lief zurück zur Landungsbrücke.
    Shell konnte es nicht erwarten, den BH anzuprobieren. Von dem Bus war nichts zu sehen. Sie verschwand in der nahe gelegenen öffentlichen Toilette. Als sie schließlich begriffen hatte, wie die Haken und Verschlüsse funktionierten, war sie erhitzt und aufgeregt. Sie trat in dem Moment ins Freie, als der Bus aus der Haltestelle herausfuhr und ohne sie entschwand. Auf den nächsten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher