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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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er tanzte, Kathy! Die anderen bildeten einen Kreis um ihn und seine Partnerin, sie klatschten und schrien Beifall. Wir stampften mit den Füßen und wiegten uns hin und her wie ein einziges großes zuckendes Tier, das ganze Haus bebte, die Band spielte immer weiter, immer schneller. Und als dann die Musik schließlich doch aufhörte, stieß das Tier mit den zweihundert Mäulern einen schrecklich-schönen Schrei schmerzlicher Lust aus.
    Die Sonne ging auf, als wir mit der U-Bahn nach Brooklyn zurückfuhren. Ich weinte. Louis begriff das nicht. Er hatte mir mit dem Abend eine Freude machen wollen.«
    Jetzt hörte sie zu, wehrte ihn nicht mehr ab, wartete gespannt auf das Ende der Geschichte.
    »Louis war immer ein schwerer Mann, aber anmutiger als so manche Frau. Und so leichtfüßig. Diese Leichtfüßigkeit ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben. Ganz schlanke junge Leute machten beim Gehen mehr Lärm als Louis. Er war zum Tanzen geboren. Ein Naturtalent. Auch als Polizist, sagen manche. Er konnte sich an einen Verbrecher heranschleichen und –«
    »Okay, ich hab’s begriffen. Einen schwerfälligeren Cop hätte man eher gehört.«
    »Louis bewegte sich fast lautlos und mußte trotzdem sterben. Ich bitte dich, Kathy, laß die anderen herausfinden, wer dieser Irre ist.«
    »Ich glaube, ich weiß es schon.«
    »Dann überlaß ihn der Polizei, Kathy.«
    »Ein ausgefuchster Täter, hat Markowitz gesagt. Aber beim letzten Mal hat er einen schweren Fehler begangen.«
    »Wie wirst du vorgehen, Kathy?«
    »Streng nach Vorschrift. Das hätte Markowitz gefallen. Es ist mein Geschenk für ihn.«
    Rabbi Kaplan zog die Jacke fester um sich. Ihm war so kalt wie noch nie in seinem Leben.

 

    Er hatte eine gute Figur und trug einen tadellos sitzenden anthrazitfarbenen Maßanzug. Das struppige braune Haar aber sah aus, als könnte es mal wieder einen Friseurbesuch vertragen, und sein komisches Gesicht wollte einfach nicht zum Anlaß passen. Charles Butler fühlte sich elend, und je elender er sich fühlte, desto komischer wirkte er. Die leicht vorquellenden Augen mit der auffallend kleinen blauen Iris und dem vielen Weiß, das sie umgab, blickten ein bißchen irre, und seine Nase hätte einer New Yorker Taube bequem als Landeplatz gedient. Die wenigen Regentropfen suchten sich unter den Trauergästen gerade ihn, die Karikatur eines Trauernden, aus und verwässerten seine Tränen. Er war einsneunzig, somit fast einen Kopf größer als alle anderen und nicht zu übersehen. Ein Clown beim Begräbnis.
    Mallory ging vor ihm, ganz allein, als sei sie nur zufällig von zahlreichen Trauergästen umgeben, die ebenso zufällig dasselbe Ziel hatten wie sie. Charles wunderte sich nicht darüber, daß sich kein fürsorglicher Arm um ihre Schultern gelegt hatte, daß niemand sie stützte.
    Er beschleunigte den Schritt. Als er sie eingeholt hatte, sah sie zu ihm auf. Kühle grüne Augen, die nichts preisgaben, keine Rede von Spiegeln der Seele, die romantische Dichter so gern besingen. Er legte einen Arm um sie. Zwei Polizisten in Uniform, die in diesem Moment aufschlossen, staunten über diese tollkühne Geste – ebenso wie darüber, daß sie seinen Arm nicht sofort wieder abschüttelte.
    Kathleen – so hieß sie privat. Im Dienst ließ sie sich Mallory nennen. Welche Anrede war die richtige bei der Beerdigung von Louis Markowitz? Charles Butler hatte Mallory von Markowitz geerbt und zerbrach sich den Kopf darüber, wie er ihr das beibringen sollte. Er setzte seine Hoffnungen auf den Brief, den er in der Tasche hatte.
     
    Mallory stellte die Kaffeetasse ab und machte ihren Brief auf. Zuerst kamen ein paar Sachen, die Louis Markowitz bedauerte. Daß seine Frau Helen gestorben war, ehe sie Kathy zu einem wahrhaft zivilisierten Wesen hatte machen können. Daß er, Markowitz, Mallory zu ihr sagen mußte, seit sie bei der Polizei war. Daß es ihm nicht gelungen war, in Kathy irgendein Unrechtsbewußtsein wegen ihrer Computerhackereien zu wecken. Und daß er sich immer wieder ihre Diebereien zunutze gemacht hatte, statt ihr mit gutem Beispiel voranzugehen. Dann kam das, was er nicht bedauerte. Daß er sie als Zehn-, Elf- oder Zwölfjährige (das genaue Alter stand bis heute nicht fest) verhaftet hatte. Daß er mit dem verwilderten Kind zu der sanften Helen gekommen war, die es mit ihrer Umarmung und einem Schwall unverdienter, schrankenloser Liebe sprach- und wehrlos gemacht hatte. Daß Kathy so schön geworden war und so beängstigend
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