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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben
Autoren: Carol O'Connell
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klug.
    Sie habe Helen bis zuletzt so glücklich gemacht, schrieb er, daß er mit dem Wissen leben und sterben könne, daß Kathy im Grunde ihres Herzens noch immer eine Diebin sei. Und es sei ihm ein Trost zu wissen, daß sie in Charles Butler einen so durch und durch aufrichtigen und anständigen Freund habe. Sie möge ihn bitte nicht schamlos ausnutzen, sondern sich an ihn wenden, wenn sie Kummer habe, Hilfe brauche oder sich – was freilich recht unwahrscheinlich war – nach ein wenig menschlicher Wärme sehne. Und darunter stand noch ein P. S.: Ich habe Dich sehr lieb.
    Sie legte das Blatt zusammen und sah zu dem Mann mit dem traurig-törichten Lächeln hinüber. Charles Butler starrte schweigend in seine Kaffeetasse.
    Jetzt wartet er wohl darauf, daß ich anfange zu weinen.
    Da kann er lange warten.
     
    Commissioner Beale nahm auf der Couch Platz. Ein maskulines Möbelstück, stellte er fest, ganz aus schwarzem Leder, das gut zu der übrigen Einrichtung paßte, massiv und solide. Weiblich an Sergeant Mallorys Wohnzimmer war nur jene perfekte Ordnung, mit der sich Männer so schwertun. Jede persönliche Note fehlte. Er kam sich fast vor wie im Ausstellungsraum eines teuren Einrichtungshauses – ein wenig zu teuer für seinen Geschmack. Und die Wohnung war entschieden zu groß für ihr Gehalt. Mitarbeiter, die über ihre Verhältnisse lebten, besser gekleidet waren oder einen teureren Wagen fuhren als er, waren seiner argwöhnischen Buchhalterseele nicht geheuer. Sergeant Mallory brachte ein Tablett herein, das unverkennbar aus Silber war und auf dem ein guter Sherry und schön geschliffene Gläser standen. Auch diese Details wurden von ihrem Besucher gewissenhaft registriert. Sie lächelte. Soviel zu Harry Blakelys Warnung, er würde ihr Büro in die Luft sprengen müssen, ehe sie sich einen Sonderurlaub verordnen ließe, dachte Commissioner Beale. Sie hatte sich widerspruchslos gefügt. »Also bis auf weiteres beurlaubt, Sergeant. Mit vollen Bezügen.«
    Blakelys Rat, sie auszuschalten, bis der Fall gelöst war – was nach Aussage des Chiefs allenfalls ein paar Wochen dauern konnte-, war zweifellos vernünftig. »Mallory ist für die Abteilung unersetzlich«, hatte Blakely gesagt. »Vergrätzen Sie mir das Mädchen nicht. Sagen Sie ihr, daß es immer so gehandhabt wird.« Was ja stimmte. Auch Ärzte vermeiden es, die eigene Familie zu behandeln. Sie hatte die Zweckmäßigkeit der Maßnahme eingesehen, hatte ihm in allem recht gegeben. So was gefiel ihm. Gefiel ihm ausnehmend.
    »Und nehmen Sie ihr den Dienstausweis und den Revolver ab«, hatte Blakely gesagt. »Sonst läuft sie noch mit der Kanone herum und versucht, den Fall im Alleingang zu lösen.«
    Commissioner Beale hatte zwar den Dienstausweis und die Smith & Wesson zur Sprache gebracht, aber diese Bemerkung war offenbar an ihr vorbeigegangen. In ihren Augen stand ein Ausdruck sanft-zerstreuter Melancholie. Schließlich waren ja erst ein paar Tage vergangen, seit sie ihren Pflegevater unter die Erde gebracht hatte. Wie hübsch sie war, wie verletzlich. Ein zweites Mal schnitt er das Thema nicht an. Alles lief so gut. Nur nicht die Stimmung verderben. Schließlich war sie eine seiner vertrauenswürdigsten Mitarbeiterinnen.
    Oder etwa nicht?
    »Ist das eine Wohnung mit städtischem Mietzuschuß, Sergeant? Darf ich fragen, wie viel Sie dafür zahlen?«
    »Ich zahle keine Miete, es ist eine Eigentumswohnung. Markowitz hat mir die Anzahlung vorgestreckt. Er wollte, daß ich in einem gut gesicherten Haus mit Pförtner wohne.«
    Vermutlich hatte Markowitz ihr auch bei den monatlichen Raten und den laufenden Kosten unter die Arme gegriffen. Er war schließlich lange genug im Dienst gewesen, da konnte man schon einiges zurücklegen. Nein, er würde nicht noch einmal auf die Frage der Dienstwaffe zurückkommen. Markowitz war immer sauber gewesen, und da diese bezaubernde junge Frau in seinem Haus groß geworden war, konnte man sich bestimmt auf sie verlassen.
    Die Nachricht, daß dank seiner Gutgläubigkeit Mallory jetzt als potentielle Zeitbombe in New York herumlief, wurde später am Tag von Blakely nur mit einem stumm-verzweifelten Augenaufschlag quittiert.
     
    Lieutenant Jack Coffey schloß die Tür hinter sich und ließ sich in Markowitz’ Bürosessel fallen. Eine kahle Stelle an seinem Hinterkopf spiegelte sich in der Scheibe in seinem Rücken, hinter der man in dem großen Dienstraum das hektische Hin und Her der Mitarbeiter von der Sonderkommission
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