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Ein orientalisches Maerchen

Ein orientalisches Maerchen

Titel: Ein orientalisches Maerchen
Autoren: Helen Brooks
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hatte einen gebrochenen Flügel und flatterte vor mir auf die Straße. Ich nahm ihn in meine Hand. Aber der Kleine pickte mit seinem Schnäbelchen nach meinen Fingern, weil er sich wehrte in seiner Angst, und dann …“
    „Und dann?“, flüsterte Kit, als Dumont auf einmal nicht weitersprach. Sich ihn mit einem winzigen Vogel in der Hand vorzustellen, fiel ihr nicht leicht. Er war so groß, so männlich und stark – besonders jetzt, wo er vor ihrem Bett stand.
    „Sein Herz hörte einfach zu schlagen auf.“ Dumonts Stimme klang ruhig, doch in seinen Augen lag etwas, ein seltsamer Ausdruck, den Kit nicht zu deuten wusste. „Wenn er sich nur etwas entspannt, mir ein wenig vertraut hätte, ich hätte ihm helfen können.“
    Aufgeregt benetzte sie ihre trockenen Lippen mit der Zunge und hörte verlegen damit auf, als er sie wieder auf diese merkwürdige Art fixierte.
    „Dabei habe ich es nur gut gemeint mit dem Vögelchen.“ Er lächelte amüsiert, als sich ihre Blicke begegneten, dann schaute sie weg.
    „Nur helfen wollte ich ihm“, ergänzte er und ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. „Na gut, ma chère, überlegen Sie es sich und entscheiden Sie sich so, wie Sie es für richtig halten. Der Arzt wird bald mit Ihnen sprechen, und ich werde gegen Mittag wieder zurück sein. Aber dann will ich auch eine Antwort.“ Er lächelte und öffnete die Tür. „Und keine Sorge – Sie wären nicht allein mit mir in dem großen Haus. Meine Schwester lebt auch dort. Ich meine, falls Sie auf einer Anstandsdame bestehen sollten …“ Er zwinkerte ihr zu. „ Au revoir.“
    „Aber …“, wandte sie ein, doch er hatte den Raum schon verlassen.
    Stirnrunzelnd betrachtete Kit die geschlossene Tür. Verärgert und gleichzeitig erleichtert ließ sie sich zurück in die Kissen sinken. Er könne Engländerinnen nicht ausstehen, das hatte er ihr gesagt. Nun, wahrscheinlich wirkten sie ja auch eher blass gegen die rassigen Marokkanerinnen. Dennoch: Ohne genau zu wissen, warum, ärgerte sie das. Sogar ungemein! Energisch wischte sie einen Croissantkrümel von ihrer Bettdecke … Vielleicht war es die Art, wie er es gesagt hatte – von oben herab und auf eine gewisse Weise entmündigend, die ihr dieses Unbehagen bereitete.
    Und da war es wieder – dieses Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Kit wurde kreidebleich und starrte wie panisch in die Leere.
    „Geht es Ihnen nicht gut?“
    Die Stimme des Arztes brachte sie in die Wirklichkeit zurück.
    „Ich … Es geht schon wieder.“ Kit atmete erleichtert auf. Endlich würde sie mit dem Doktor sprechen. Sie hatte so viele Fragen an ihn, auf die sie noch keine Antwort hatte.
    Nur die Antwort auf die Frage, ob Sie die Einladung von Gerard Dumont annehmen würde, die kannte sie schon jetzt – sie lautete Nein.
    Als sie am frühen Nachmittag die Klinik verließen, hatte Kit zunächst Schwierigkeiten, sich wieder an die marokkanische Hitze zu gewöhnen, die sie im Freien umgab.
    „Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Gerard Dumont ließ sie nicht aus den Augen, während er ihren Arm festhielt und sie über die Straße zu einem schwarzen Sportwagen zog.
    „Ja, es geht schon“, log Kit tapfer, schloss aber doch kurz die Augen. Die Strahlen der Sonne, gleißend und heiß, verursachten ihr stechende Kopfschmerzen – und trotz der Hitze zitterte sie. Letzteres hatte andere Gründe.
    Das lag an ihm. An Dumont. Als seine Hand ihren Arm umfasste, hatte diese Berührung einen Schauer durch Kit gesandt, den sie bis in die Zehenspitzen spürte. Seitdem hatte sie ein flaues Gefühl im Magen, und ihr Puls raste.
    Breitschultrig und groß war Dumont, das war ihr schon im Krankenhaus aufgefallen. Jetzt, wo sie dicht neben ihm ging, musste sie gar den Kopf heben, um in seine rätselhaften Augen blicken zu können, die sie dann jedes Mal in ihren Bann …
    In diesem Moment erreichten Sie den Wagen, und Kit unterbrach hastig den Blickkontakt. Wieso nur musste sie diesen Mann immer so anstarren? War es nicht ein Wahnsinn, diesem Fremden jetzt in sein Haus zu folgen?
    „Was ist? Wollen Sie nicht einsteigen?“ Dumont hielt Kit die Beifahrertür auf.
    Um ihre Unsicherheit zu überspielen, rang sie sich ein Lächeln ab, stieg schnell in den Wagen und schnallte sich an. Zugegeben, Manieren hatte ihr Retter aus der Not. Damit konnte er einer Frau schon gefallen. Mit ebendieser geschmeidigen Freundlichkeit hatte er sie ja wohl auch herumgekriegt: Sie hatte seine Einladung angenommen. Trotzdem war
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