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Ein neues Paradies

Titel: Ein neues Paradies
Autoren: Hans Dominik
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Schirm sah man vorläufig nur den kreisförmigen Rand des Uhrglases. Durch die Flüssigkeit gingen die Lichtstrahlen unbehindert durch. »Sie wissen«, fuhr Doktor Bunsen fort, »daß Zellulose und Stärke genau dieselbe prozentuale Zusammensetzung haben. Ihre kleinsten physikalischen Teilchen, ihre Moleküle, sind aus denselben Bausteinen, aus denselben Atomen aufgebaut. Ebenso besteht ja auch noch das Zuckermolekül aus den gleichen Atomen. Unsere Aufgabe ist es also, nicht neue Stoffe in die Moleküle einzuführen, sondern nur die vorhandenen Atome zu neuen Molekülen umzugruppieren. Dazu sollen uns Elektrizität und Magnetismus helfen.« Mit diesen Worten schob Doktor Bunsen einen kräftigen Hufeisenelektromagneten an den Apparat und legte dessen beide Pole auf zwei gegenüberliegende Stellen des Uhrglases. »Wenn ich jetzt den Elektromagneten an das Stromnetz schließe, ihn also errege, so befinden sich die Zellulosemoleküle in einem magnetischen Kraftfeld, welches bestrebt ist, sie in einer bestimmten Richtung und Lage festzuhalten.« Dabei schaltete er den Elektromagneten an, und im selben Augenblick lief momentan ein dunkles Wellenspiel über das Bild auf der weißen Fläche des Schirmes.
    »Jetzt sind die Zellulosemoleküle gewissermaßen zur Verarbeitung festgeklemmt, wie man ein Stück Eisen vor dem Befeilen in den Schraubstock spannt«, erläuterte er dabei. »Nun heißt es, sie vorsichtig anzustoßen, damit sie sich in der gewünschten Weise umlagern. Dazu benutze ich einen pulsierenden Gleichstrom. In die Uhrgläser sind bereits Platinelektroden eingeschmolzen. Ich schließe sie jetzt an meine Stromquelle und lasse einen ganz schwachen, pulsierenden Strom hindurchgehen.« Bei diesen Worten schaltete er das Besprochene ein, und alsbald begann sich das Bild auf dem weißen Schirm zu verändern. Das Aussehen der beiden Flächen begann eine körnige Struktur zu zeigen. Es traten helle und dunkle Stellen auf, und immer deutlicher wurden einzelne Körnchen erkennbar. Diese Körnchen aber blieben nicht ruhig liegen, wo sie entstanden, sondern wandelten aufeinander zu und bildeten größere Klümpchen.
    »Wir sehen jetzt«, erläuterte Doktor Bunsen, »wie die Stärkemoleküle sich zu richtigen Stärkekörnern vereinigen, wie wir sie in der Stärke aller unserer Nutzfrüchte finden, mag es sich nun um Kartoffel- oder Roggenmehl, um Reisstärke, um Sago oder Pfeilwurzel handeln.« Während Doktor Bunsen erklärte, wuchsen die Körner immer weiter an und nahmen einen immer größeren Raum ein. »Wir wollen jetzt ein Viertelstündchen zum Kaffeetrinken benutzen und dann sehen, was aus der Sache geworden ist«, meinte der Doktor und schaltete die elektrische Lampe aus. »Der Magnet und der pulsierende Strom werden in der Zwischenzeit arbeiten.«
    Als Lehrer und Schüler nach einer Viertelstunde wieder an den Apparat traten und die Lampe aufleuchten ließen, da war der ganze Schirm nur noch sehr matt erleuchtet. »Unser Glas ist voll Stärke«, sagte der Doktor, »jetzt können wir den Versuch abbrechen.« Mit diesen Worten schaltete er alle Ströme ab und zog das Glas aus dem Apparat. Es zeigte sich mit einer weißen breiigen Masse gefüllt. Doktor Bunsen spülte die Masse mit reinem Wasser mehrmals aus und sammelte den Niederschlag auf einem reinen Glas. »Dies ist reine Stärke«, sagte er, »bereits diese Lupe wird Ihnen die Stärkekörner zeigen.« In der Tat sah man mit bewaffnetem Auge die weißglänzenden gequollenen Stärkekörner in Gruppen und häufigem Beieinanderliegen. »Mehl aus Holz«, sagte Doktor Bunsen. »Nach dem Spiritus und Zucker aus Holz der erste große Fortschritt, und ich darf wohl annehmen, daß dies Verfahren auch im großen durchführbar ist. Meine Lösungsflüssigkeit ist außerordentlich billig und der Stromverbrauch ist auch nur gering.«
    Mit geröteten Wangen und glänzenden Augen verließ Erich seinen Lehrer. Zum Andenken an diesen Besuch nahm er in einem Reagenzglas die Stärke mit, welche dort vor seinen Augen aus der Zellulose entstanden war. Am selben Abend traf er seinen Freund Kurt, und die Nachtpost nahm einen Brief an dessen Vater mit, in welchem das Bunsensche Verfahren zur Stärkegewinnung nach Erichs Beobachtungen geschildert wurde und welchem eine Probe der hergestellten Stärke beigeschlossen war. »Wenn die Stärke schon künstlich hergestellt wird«, meinte Kurt, »so kann mein Vater auch der erste sein, der sie fabriziert. Zellulose haben wir genug und von
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