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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien
Autoren: Julica Jungehuelsing
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ob ich träumte oder wach war.

    Wellenreiten gehört, auch wenn das offizielle Stellen noch ignorieren, eindeutig zu den Suchtgefahren des modernen Lebens. Es war für mich schwer nachvollziehbar, weshalb bislang auf den Anfängerbrettern keine Aufkleber warnten: „Vorsicht! Surfen kann Ihr Leben verändern!“ oder „Achtung! Regelmäßiges Surfen kann Sie Ihren Arbeitsplatz kosten!“ Vermutlich hatte das damit zu tun, dass in Deutschland die nötigen Wasserbewegungen einfach zu selten waren. Michhatte der Virus vor Jahren auf den Kanarischen Inseln gepackt, wo ich eigentlich in Ruhe einen akuten Herzschmerz auskurieren wollte. Grübelnd am Strand zu liegen erwies sich als Therapie jedoch völlig ungeeignet, weshalb ich mich zu einem Surfcamp anmeldete. Ein grausamer Fehler, so sah es zunächst aus: Die übrigen Anfänger waren lauter gut gelaunte, drahtige junge Österreicher und Schweizer, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Snowboards zur Welt gekommen waren. Jedenfalls dauerte es keine zwei Stunden, bis sie ihre Bretter mehr oder minder elegant stehend durch die Fluten steuerten. Ich hingegen kämpfte. Mein ohnehin ramponiertes Selbstbewusstsein litt weiter. Welle rollt näher, anpaddeln, aufstehen, surfen, peng – wie konnte so unsäglich schwer sein, was so einfach aussah? Die Tage verbrachte ich mit frustrierendem Gepaddel in Weißwasserbergen. Wasser schluckend und fluchend. In den Nächten wanderte der Schmerz immerhin spürbar seitwärts und verkrampfte nunmehr Schultern, Nacken und Arme. Ich war nahe daran aufzugeben als es passierte. Der Surfcamp-Jeep hatte uns in einer Bucht abgesetzt, die sie Hierro nannten. Es war heiß, kaum Wind, und meine neuen Freunde aus den Alpenländern aalten sich faul in der Sonne. Sie hielten die Dünung für uninteressant, mäßig, minimal. Mir war klein oder groß egal, ich kämpfte wie üblich mit meiner fast drei Meter langen Planke gegen alles, was sich bewegte. Und auf einmal musste ich irgendetwas richtig gemacht haben: Meine Beine standen auf dem Brett, ich hob den Kopf, sah zum Ufer, stand immer noch und merkte, wie ich geschmeidig an einem sich brechenden Wasserhügel entlangglitt. Weiter und weiter – zzschhhhh machte das Brett im Meer, ehe ich die Balance verlor und hintenüberfiel. Yes! Ja! Mon dieu, oh my God. Yes! Von diesem Augenblick an war nichts mehr so wie vorher. Meine Oberarmmuskeln wuchsen, meine Auswahl an Gesprächsthemen schrumpfte, und als Urlaubsziele kamennur noch Regionen in Frage, die über surfbare Gewässer verfügten. Skifahren? Wandern? Sicher, das war auch immer sehr nett gewesen, früher, vor jenem Moment in Hierro.
    Mich für einen Job sechs Wochen lang nach Australien zu schicken, war insofern etwas leichtsinnig von meinem damaligen Chef gewesen. Bis dahin hatte ich diesen Kontinent vor allem eines gefunden: viel zu weit weg. Das war er zwar immer noch, aber über einen Monat lang jeden attraktiven Winkel der Stadt zu durchstreifen und nebenbei immer wieder Blicke auf den glitzernden Hafen, Küste, Surfer und Meer zu werfen, das hatte Folgen. Eines Abends stand ich auf dem Balkon des vanilleeisgelb angemalten Bondi Pavillons und überlegte, woher diese seltsame Laune kam, die mich ständig in den unpassendsten Momenten seufzen ließ. Schließlich musste ich mir selbst eingestehen: Ich hatte das Sydney-Syndrom. Ich wollte einfach nicht wieder weg. Zum ersten Mal in über 15 Reporterjahren freute ich mich nach einer langen Dienstreise nicht auf zu Hause. Der Auftrag war so gut wie erledigt, noch zwei Tage, ein Mittagessen mit Kollegen, ein Abend mit diesem verrückten Israeli aus dem Hotel, ein paar kleine Recherchen. Ich hatte ein Glas Wein in der Hand, lehnte an der noch sonnenwarmen Mauer des Pavillons und sah runter aufs Wasser: In der halbmondförmigen Bucht saßen sie auf ihren Boards und paddelten um die letzten Wellen vor dem Dunkelwerden. Nach Dienstschluss. Vermutlich waren sie auch vor der Arbeit schon im Wasser gewesen. Machten sie sich eigentlich klar, in was für einem Paradies sie lebten? Wussten sie eigentlich, wie verflixt gut sie es hatten?
    Ich jedenfalls wusste es, als ich an diesem Montag zum ersten Mal im letzten Abendlicht vom Strand nach Hause trottete. Mein Brett unterm Arm, erschöpft und zufrieden ging ich über die kleine Brücke zwischen Strandpark und Straße und dachte an jenen Moment auf demPavillon-Balkon vor über einem Jahr. Ganz konnte ich immer noch nicht fassen, dass ich jetzt wirklich zu
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