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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien
Autoren: Julica Jungehuelsing
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in Sydney seine Zeit damit, Tapeten von Wänden zu reißen, Fußböden zu schleifen, Stuckdecken zu renovieren oder Regalbretter in Küchenwände zu dübeln, wie ich es in Deutschland immer wieder aufs Neue praktiziert hatte. Derlei war hier nicht nur nicht üblich, sondern nicht einmal erlaubt. Eigentlich praktisch. Zudem war fast jede Wohnung, die zu vermieten war, bereits leer. Das hieß: Zwischen Besichtigung und Tim Plumers Nachricht „You’re in!“ lagen exakt zwei Tage. Zwischen Vertrag-Unterschreiben, Kautionzahlen und Schlüsselübergabe zwei Stunden. Mir schwindelte.
    Auf eben jener breiten Fensterbank, auf der ich Samstag noch mit zittrigen Fingern den Bewerbungsbogen ausgefüllt hatte, saß ich Montag schon in der Sonne, machte ein Bier auf und kniff mich – sicher ist sicher – kurz in den Arm. Ich hörte dem Abendkonzert von Kakadus und krakeelenden Elstern zu und vergaß aus Versehen vor Glück für eine Weile zu atmen. „Wairoa 63“ hatte zwar keinen Meerblick, aber dafür sah ich statt Großstadtelend zwei Ziegeldächer, einen Eukalyptusbaum und darüber sehr blauen Himmel. DerBalkon fehlte, doch wenn ich die Fensterflügel weit aufstieß, saß ich beinahe im Freien. Es gab Strom und Gas und – richtig, das war’s – weder Bett noch Tisch noch ein Glas fürs Bier. Während Letzteres völlig in Ordnung ging, war eines bedenklicher, zumal im australischen Sommer: Ich hatte keinen Kühlschrank. Aber morgen war auch noch ein Tag. Noch war das Sixpack kalt: Vielleicht würde mir mein Gitarre spielender Nachbar helfen, es zu leeren.
    Lee war schon bei der Arbeit, dafür lernte ich endlich Surfer-Ricks Freund Michael, den Gärtner, kennen. „Jesus!“, rief der und bestaunte die frisch gestrichenen Wände, „das hättest du vorher sehen sollen!“ Dann nahm er sich ein Bier und ließ seinen Blick durch die leere Wohnung wandern. Viel zu sehen gab es nicht: Etwas verloren lagen da mein Surfbrett und eine Tasche mit Badesachen auf dem Boden. „Wann ziehst du denn ein?“, fragte Mick, und schob, als ich nicht gleich antwortete, nach: „Ich meine, wann kommen deine Möbel?“ „Hm, also, ich habe, äh, hier keine Möbel“, antwortete ich und merkte, wie ich dabei grinsen musste. Genau: Ich hatte keine Möbel. Keinen Krimskram, keine Unordnung, keine Wäscheberge, keinen vor Gemüse, Zetteln und Notizen überquellenden Tisch, keinen immer-noch-mal-durchzuguckenden Zeitschriftenstapel, kein gar nichts. Nur friedliche, aufgeräumte Leere zwischen hellen Wänden. „Herrlich viel Platz, oder?“ Mick sah mich zweifelnd an. Er wusste ganz eindeutig nicht, ob ich mich über ihn oder über mich selbst lustig machte. „Cheers“, rettete er sich auf sicheres Terrain, und wir stießen klirrend die stubbies gegeneinander. „Welcome auf jeden Fall, das mit der Einrichtung, das wird schon.“ Da hatte ich nicht den geringsten Zweifel, bei Gelegenheit würde ich mich darum kümmern. Im Augenblick allerdings waren mir Stühle und Schränke unglaublich egal. Wichtiger war, dass wir mehr oder weniger rasch austranken, ich musste unbedingt noch ein paarSonnenuntergangswellen reiten. Dringend. Denn von diesem Moment hatte ich geträumt, seit Monaten, oder wahrscheinlich seit Jahren. Ich würde zum allerersten Mal mein Surfbrett aus meiner Wohnung ans Meer in meiner Nachbarschaft tragen. Von „zu Hause“ aus surfen gehen. Ich musste keinen Urlaub dafür buchen. Ich musste noch nicht einmal das Brett auf ein Autodach schnüren oder einen Parkplatz suchen. Ich musste nicht eine Stunde zwischen genervten Passagieren im ruckelnden Bus ein viel zu langes Brett balancieren oder in der Strandbude auf ein freies Schließfach für meine Klamotten spekulieren. Nichts dergleichen.
    Ich zog ganz einfach meine Boardshorts an und mein Shirt über, griff mein Brett, zog die Tür hinter mir zu, steckte den Schlüssel in den Klettverschluss und lief die Treppe runter. Dann ging ich barfuß mit dem Board unterm Arm die Straße entlang runter zum Strand. Ganz normal. Wie alle anderen Menschen in Bondi Beach auch. Nur, dass mir das im Gegensatz zu den meisten anderen geradezu unbotmäßig luxuriös vorkam. Keine sieben Minuten östlich von meiner Wohnungstür brach sich die Dünung in wohl geformten, langen Rechtshändern auf der Sandbank. Die schräg stehende Sonne malte die Schaumkronen rosa an. Ich rannte über den noch immer heißen Sand, paddelte raus, rieb mir das Salzwasser aus den Augen und wusste trotzdem nicht genau,
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