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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien
Autoren: Julica Jungehuelsing
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jenen Luxusgeschöpfen gehören sollte, die ich damals so beneidet hatte. Zu denen, die an einem stinknormalen Wochentag surfen, dann arbeiten und, wenn sie Lust hatten, anschließend noch einmal surfen gehen konnten. Ohne Urlaub. Einfach so. Wie Münsteraner auf ihr Fahrrad stiegen und eine Runde um die Promenade drehten oder wie Berliner durch den Tierpark joggten. „Wir“ Bondi-Beach-Bewohner sprangen ins Meer. Sicherheitshalber tastete ich nach meinem Schlüssel in der Shortstasche. Ein Glück, da war er.
    „Nett, wirklich. Nicht schlecht“, lautete Rafis höflicher Kommentar zu meinem neuen Quartier. In Wirklichkeit konnte er nicht fassen, dass ich gut einen Monat nach meiner Ankunft tatsächlich einen Mietvertrag unterschrieben hatte. Er selbst hatte in über sechs Jahren in Australien meist einen Weg gefunden, genau das zu vermeiden. Wozu gab es schließlich WGs, Haus-Sitting-Agenturen, urlaubende Freunde, und natürlich – Hotels? Die vergangene Woche hatte er damit verbracht, Suite 6 in ihren Originalzustand zurückzuversetzen, das hieß, sie für einen Freund aufzuräumen, der eine Weile seinen Job übernehmen würde. Rafaels bewegliches Gut hatte sich auf einen prallen Rucksack und mehrere Kamerataschen reduziert, mit denen er sich auf dem Weg zum Flughafen befand. Immerhin hatte er die Zeit gefunden, auf einen Abschiedskaffee in Bondi vorbeizuschauen. Ich fühlte mich geehrt. „So ein Mietvertrag“, er legte die Stirn sinnierend in Falten und sah sich in der leeren Wohnung um, „an den sind doch Verbindlichkeiten geknüpft, oder? Verpflichtungen meine ich?“ „Ja, stimmt“, grummelte ich meinen Nomaden-Freund an und probierte es mit Ironie: „Man muss für eine gewisse Zeit am gleichen Ort bleiben ...“ Irgendwie, fand ich, hätte er sein Fernweh noch eine Weile unterdrücken können. Mir zuliebe zum Beispiel. „Für Leute wie dich ist dasnatürlich nichts!“ Ich saß mangels Sofa mit angezogenen Knien auf meiner Fensterbank, hielt ihm trotzig triumphierend das Freizeichen im just angeschlossenen Telefon entgegen und raffte mich zu einem Grinsen auf. „Kannst ja mal hin und wieder anrufen …“ Ich ging nach nebenan, suchte nach einem Stift und kritzelte ihm meine Telefonnummer ins Notizbuch. Auf der Straße hupte der Flughafenbus, wir gingen nach unten, er stieg ein und ich winkte. Ciao for now, take care. Meine Stimme klang etwas rau, aber zum Glück nicht vollends peinlich. Ich hasste Abschiedsszenen.
    Zurück im sonnenwarmen Apartment hustete ich mir den Frosch aus dem Hals. Na denn. Mein Räuspern hallte etwas hohl zwischen den frisch gestrichenen Wänden. Hell und geräumig war es ja, aber heimelig konnte man es nicht unbedingt nennen. Tisch und Stuhl wären sicherlich praktisch, ebenso würden auf Dauer Töpfe und Gabeln hilfreich sein. Fürs Erste war ich mit dem Schlüssel zu meiner Wohnung in Meeresnähe, meinem nagelneuen Futon, dem 250-Dollar-Kühlschrank aus dem Secondhand-Laden und fließendem Wasser zufrieden gewesen. Ich hatte ein Dach über dem Kopf gebraucht und gefunden. Deshalb musste ich ja nicht gleich auf Nestbau und Kaufrausch schalten, oder? Das war, wie sich herausstellen sollte, auch nicht nötig. Spazierengehen genügte vollkommen. Am besten mit großen Taschen.
    Vor dem Fenster zur Straße knabberten meine Freunde, die grünen Lorikeets, an struppig-gelben Doldenblüten im Baum. Darunter schoben Mütter mit Sarongs und Sonnenhüten Kinderwagen Richtung Wasser, und meine Wohnung fühlte sich leerer an, als sie ohnehin war. Höchste Zeit, mir etwas Wind um die Nase wehen zu lassen. Endlich könnte ich mal meine Umgebung erkunden, ohne dabei neidisch die Fassaden nach „for lease“-Schildern abzusuchen. Das war doch eine gute Aussicht. Über Nomadentum, Sesshaftigkeit und Möbel könnte ich ja später weiter grübeln.

    Bondi wird Bonn-Dhai ausgesprochen, was es leicht machte, Neuankömmlinge und Touristen zu identifizieren, die gern hartnäckig darauf bestanden, Bonn-die mit langem „i“ zu sagen. Früher war es noch komplizierter, da hieß der hügelige Fleck rund um den Kilometer weißen Sandes angeblich „Bundi“, „Boondi“ und „Bundey“, was in der Sprache der örtlichen Ureinwohner „Klang tosenden Wassers“ bedeutete. Ich konnte nicht überprüfen, ob das stimmte, weil mir auch nach über einem Monat in Sydney noch kein Aborigine begegnet war. Mein Wissen über die Lokalgeschichte stammte aus einander widersprechenden Reiseführern und vom
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