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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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ist melancholisch auf das weite Tal des
Genals gerichtet, neben ihr steht ein Koffer. Daneben ist eine Plakette aus Metall angebracht, auf der „El Emigrante – Der Auswanderer
“ steht. Darunter Barbaras Name. „DieSkulptur habe ich vor mehr als zehn Jahren hier in Genalguacil gemacht. Damals war ich als
ausländische Künstlerin bei den Encuentros der Exot, mittlerweile sind die Treffen viel internationaler geworden.“ Die Sonne brennt immer noch so heiß
vom Himmel, als wäre es Mittag. Barbara steuert auf eine Quelle zu, die schon von weitem als Kunstwerk zu erkennen ist. Anstatt aus Wasserhähnen
sprudelt es aus mehreren Eselsköpfen. Wir trinken und spritzen uns Wasser auf Gesicht und Arme.
    „Wie kam es denn zu dem Treffen?“, frage ich. „Vor fast zwanzig Jahren überlegte sich der damalige Bürgermeister von Genalguacil, wie seine Gemeinde
vom Boom des Turismo rural, des Tourismus auf dem Land, den die Region gerade erlebte, profitieren könnte“, erzählt Barbara, während sie
weiterläuft. „Er war schon damals ein großer Kunstliebhaber. Deshalb brauchte er nicht lange, um auf eine geniale Idee zu kommen: Das Dorf selber sollte
zum Museum werden. Er dachte nicht etwa an traditionelle Werkzeuge in Heimatmuseen, wie sie fast alle anderen Bergdörfer einrichteten, sondern an
richtige Kunstwerke, die Touristen bringen sollten. Spanische und internationale Künstler sollten in die Berge kommen und gegen Speis, Trank und Logis
dem Dorf ein Kunstwerk hinterlassen.“ Barbara unterstreicht jeden ihrer Sätze mit kräftigen Handbewegungen. Ihre Begeisterung für den Bürgermeister und
das Projekt ist nicht zu übersehen. „Gesagt, getan. Es dauerte nicht lange, da waren die Subventionen für das erste Treffen bestätigt und die
Rathausangestellten von Genalguacil mauserten sich zu Kunstkritikern. Sie mussten eingereichte Projekte begutachten und auf deren Tauglichkeit für Dorf
und Gemeinschaft beurteilen.“
    Während wir Barbara durch die Gassen folgen, entdecken wir dunkle, an Häuserwände gemalte Gestalten und Katzen aus Ton, die sich auf den Dächern
verstecken. Einmalstolpern wir fast über einen Salamander aus Mosaiksteinen auf dem Boden. Wir gelangen zu einem Aussichtspunkt, an
dem zwei große, ineinander verschlungene Eisenstangen in der Sonne glitzern. Von hier hat man einen tollen Blick auf das Dorf, das sich rechts von uns
an den Hang schmiegt, vor uns breitet sich das Tal des Flusses Genal aus, das Korkeichen- und Kastanienwälder überziehen.
    Barbara blickt auf ihre Uhr, es ist fast acht. Wir machen uns auf den Weg zur Schule, aber Barbara hat sich anscheinend vorgenommen, uns die Geschichte
von Genalguacil zu Ende zu erzählen, noch bevor wir den Ausstellungssaal erreichen: „Die Idee fand zuerst nicht bei allen Bewohnern Anklang. Viele, vor
allem ältere Menschen, standen dem Projekt, das Dorf mit Kunstwerken zu verzieren, ziemlich skeptisch gegenüber. Doch mittlerweile gibt es in dem
gesamten Dorf nur noch Kunstliebhaber.“ Als hätte Barbara sie bestellt, passieren wir genau in dem Moment eine alte Dame, die in einem Sessel sitzt,
den einer der Künstler eines früheren Treffens aus einem Baumstamm geschnitzt hat. Als ich sie frage, ob der Stuhl gemütlich sei, antwortet sie
begeistert, es sei ihr Lieblingsplatz. „Dass die Kunst mittlerweile alle gut annehmen, hat viel mit der Ausschreibung des Treffens zu tun. Die Projekte
sollen sich mit den Problemen des ländlichen Lebens und mit der Landschaft und der Natur der Gegend beschäftigen“, erklärt Barbara, als sie die Tür der
Schule aufschließt. „Wie die Treffen ablaufen, werdet ihr morgen ja dann selber sehen.“
    Wir helfen Barbara, Stühle und Tische in den Innenhof zu tragen, für die Vernissage hat sie ein paar Flaschen Wein, Brot, Käse und Chorizo
mitgebracht. Und auch an einen CD-Player und ein Verlängerungskabel hat sie gedacht. Wir breiten alles auf dem Tisch aus, legen eine CD von
Flamencosänger Diego el Cigala ein, auf der ihn der Buena-Vista-Social-Club-Star Bebo Valdés begleitet. Und dann lassen wiruns auf
den Stühlen nieder, und Jaime entkorkt eine Flasche Rotwein. Zwar können wir nur mit Plastikgläsern anstoßen, der gemütlichen Stimmung tut das aber
keinen Abbruch.
    Kaum haben wir den ersten Schluck zu uns genommen, kommen schon die ersten Gäste. Barbara springt auf und führt die beiden in den
Ausstellungssaal. Während der nächsten zwei Stunden reißt der Strom der Neuankömmlinge nicht ab. Alle
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