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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien
Autoren: Veronica Frenzel
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hierher gekommen. Wir wollen das Leben unserer
Familien in Afrika verbessern.“ Dann schweigt er.
    Spitu, der die ganze Zeit stumm danebengesessen ist, sagt: „Die Überfahrt auf die Kanarischen Inseln kostet eine Menge Geld, das sich
die meisten leihen müssen. Sobald sie in Europa sind, müssen sie es zurückzahlen. Sie kommen also mit einer Schuldenlast in Spanien an. Und wenn sie die
nicht abbezahlen können, dann müssen ihre Angehörigen das tun – und die haben sowieso schon genug Probleme, ihr Überleben zu sichern.“ „Wie habt ihr
euch Europa vorgestellt, bevor ihr in Spanien angekommen seid?“, frage ich in die Runde. „Wir dachten, dass wir hier schnell viel Geld verdienen können
“, antwortet Ibrahim, ohne zu zögern. Dann lacht er bitter und sagt: „Aber das hier ist nicht Europa, Almería ist Afrika.“ Er macht ein Handzeichen,
ich soll ihm folgen. Ich blicke Spitu an, der nickt aufmunternd, macht aber selber keine Anstalten mitzukommen.
    Wir gehen durch ein dunkles Zimmer und treten in einen Innenhof, von dem mehrere Zimmer abgehen, eine Treppe führt zu einem kleinen Verschlag, der auf
das alte Bauernhaus aufgesetzt ist. „Da oben wohne ich“, sagt er. Ich folge ihm die Stufen hinauf zu einer klapprigen Holztür. Dahinter liegt ein etwa
zehn Quadratmeter großer Raum, in dem vier schmale Matratzen liegen. Durch ein winziges Fenster fällt etwas Tageslicht ein, das Zimmer liegt in einem
schummerigen Halbdunkel. Hinter einer verkratzten Plexiglasscheibe erstrecken sich bis ins Unendliche Gewächshäuser. „In Afrika habe ich besser gelebt“,
sagt Ibrahim. „Und wieso gehst du dann nicht zurück?“, frage ich. Zum ersten Mal legt Ibrahim seine undurchdringliche Maske ab und wird nahbar; er
sieht jetzt aus wie ein trauriger kleiner Junge. „Es gibt für mich kein Zurück. Nach Hause kann ich erst, wenn ich Geld verdient habe. Meine Familie hat
große Hoffnungen in mich gesetzt.“ Als wir wieder vor die Tür des Bauernhauses treten, ist er wieder ganz der starke Anführer. „Darf ich dich anrufen,
wenn ich wieder hier bin, umnoch einmal über alles zu sprechen?“, frage ich ihn. Er nickt nur und gibt mir seine Telefonnummer.
    „Wie schaffen es die Immigranten, hierher zu kommen ohne Papiere und ohne Geld?“, frage ich Spitu im Auto auf dem Rückweg nach El Ejido. „Die Polizei
greift fast alle Neuankömmlinge mit Hilfe des neuen Küstenüberwachungssystems auf und bringt sie dann in eines der Internierungslager. Dort dürfen die
Immigranten derzeit aber nur vierzig Tage festgehalten werden“, erklärt Spitu. „Wenn in diesem Zeitraum nicht die Abschiebung erfolgt, setzen die
Beamten die Migranten einfach vor die Tür und drücken ihnen einen Abschiebebescheid in die Hand. Dort steht, dass sie Spanien sofort verlassen müssen
und in den nächsten fünf Jahren nicht wieder einreisen dürfen. Der Staat hat einfach nicht genügend Geld, alle Immigranten zurückzuschicken. Viele von
ihnen haben auch keinen Ausweis dabei, so dass es für die Behörden nicht einfach ist, innerhalb der vierzig Tage herauszufinden, woher sie überhaupt
kommen. Ibrahim haben sie sogar einmal zurück in den Senegal geflogen. Er hat sich dann sofort wieder in eines der Boote gesetzt.“ Spitu macht eine
Pause und fährt dann fort: „Wenn die Immigranten aus den Internierungslagern entlassen werden, warten die Mitglieder von verschiedenen NGOs auf sie. Die
geben ihnen für ein paar Tage eine Unterkunft und klären sie über ihre Rechte auf. Dann versorgen sie sie mit Bustickets, damit sie dorthin fahren
können, wo sie jemanden kennen – die meisten haben Freunde oder Bekannte in Spanien.“ „Und was sagt der Staat dazu?“ Spitu zuckt mit den
Schultern. „Mittlerweile gibt es eine ganze Industrie, die von den illegalen Einwanderern lebt. Das Obst und Gemüse aus Spanien könnte ohne sie nicht so
billig auf den Markt kommen. Dass es hier relativ einfach ist, ohne Papiere Arbeit zu finden, hat sich natürlich schnell unter den Immigranten
herumgesprochen. Die meisten versuchenirgendwie nach Almería zu kommen.“ Auf dem Heimweg gehen mir das triste Zimmer und das graue
Plastikmeer der Gewächshäuser nicht mehr aus dem Kopf. Ich sehe Ibrahims trauriges Gesicht vor mir, als er sagte, er könne nicht zurück in seine Heimat,
ohne Erfolg gehabt zu haben. Seine Geschichte hat mich gepackt. Zu Hause überarbeite ich meinen Antrag für das Recherchestipendium und schicke ihn noch
am gleichen Abend ab.

August
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